Auftrag Gesamtverteidigung Deutschland 2029+

Vor einigen Wochen hat der Lehrgang Generalstabsdienst/Admiralstabsdienst National (LGAN) 2023 an der Führungsakademie der Bundeswehr die Ergebnisse seiner Studienphase zum Thema „Gesamtverteidigung“ vorgelegt. Unter dem Titel „Gesamtverteidigung Deutschland“ und eingeleitet von einem Vorwort des Generalinspekteurs der Bundeswehr, in dem er betont, dass die sicherheitspolitische Lage in Europa nicht von Streitkräften alleine bewältigt werden könne, werden hier Folgerungen für die Bundeswehr in einer Broschüre aufgezeigt.

Das Bild zeigt Aspekte der Gesamtverteidigung in Deutschland. Politik und Verwaltung, Teilstreitkräfte und Organisationsbereiche der Bundeswehr und die zivilen Hilfeleistungspotenziale
Zusammenwirken in der Gesamtverteidigung
Bild: KI-generiert

Rolle der zivilen Verteidigung?

Vielfach wird diese Studienarbeit nun nach Vorne gestellt, wenn es darum geht, das Thema „Gesamtverteidigung Deutschland“ umfassend zu betrachten und einzuordnen. Das leistet diese Studienarbeit allerdings nicht. Und wenn man den Kontext, den Auftrag und die Beteiligten ansieht, ist das auch gar nicht der Anspruch der Arbeit, oder gar überraschend. Vielmehr werden die Folgerungen und Notwendigkeiten für die Bundeswehr im Kontext der Gesamtverteidigung betrachtet. Übrigens genauso, wie die Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) 2023 die nationale Zielvorgabe für die Zivile Verteidigung aus dem Blickwinkel „Was braucht die Bundeswehr?“ formulieren.

Die Perspektive des Bundes

Es liegt auf der Hand, dass eine Organisation der Bundesebene, wie die Bundeswehr, und ihr Führungspersonal, die eine Aufgabe in ausschließlicher Bundeszuständigkeit ausüben, mit der Perspektive des Bundes an diese Fragestellungen herangehen. Ein Blick auf die Beteiligten des „Kompetenznetzwerkes Gesamtverteidigung“ hinter dieser Studienarbeit, die zu fachlichen Fragen und Bewertungen herangezogen wurden, zeigt ebenfalls deutlich, dass hier ausschließlich Dienststellen und Behörden der Bundesebene beteiligt sind. Gesamtverteidigung, mithin die zivile Verteidigung, ist aber eben auch immer Sache der Länder, der Kommunen und nicht zuletzt der anerkannten Hilfsorganisationen nach dem Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz (ZSKG). Und natürlich ist das aktuell ein sehr vielstimmiges Konzert.

Folgerungen für die Bundeswehr

Auch wenn in der Broschüre auf dem Titel, zu Beginn der Betrachtungen und auch zum Ende, auf Bildern die rote Farbe der Dienstbekleidung von Hilfsorganisationen gezeigt wird, bleibt es bei dieser Studienarbeit bei einer Arbeit der militärischen Verteidigung, die Anforderungen und Bedarfe an die zivile Seite formuliert. Das ist, wie schon im Kontext der VPR 2023 richtig und zielführend, ersetzt aber die immer noch fehlenden zivilen Betrachtungen und Bewertungen nicht. Wenn also zum Beispiel ausführlich beschrieben wird, wie zukünftig die Reserve der Bundeswehr im Kontext der Gesamtverteidigung wirken soll und muss, dann darf natürlich auch die zukünftige Gestalt und Rolle des Ehrenamtes in der Gefahrenabwehr im Kontinuum Frieden-Krise-Krieg nicht fehlen.

Rolle der Hilfsorganisationen

Gänzlich vergeblich sucht man in der Arbeit auch Ausführungen zu der besonderen Rolle der Hilfsorganisationen nach dem DRK-Gesetz vom 05. Dezember 2008. Das DRK, die Johanniter und die Malteser haben im bewaffneten Konflikt nämlich nicht nur ihre Aufgaben als anerkannte Hilfsorganisationen nach dem ZSKG, sondern eben auch die Pflicht zur Mitwirkung im Sanitätsdienst der Bundeswehr. Wenn also die Bundeswehr hier Kräfte bindet, wird dies mögliche Potenziale in der zivilen Verteidigung nahezu zwangsläufig reduzieren. Und die Bundeswehr wird auf diese Kräfte nicht verzichten können. Darüber muss man rechtzeitig sprechen, wenn man personelle Überraschungen vermeiden will.

Konzeption Zivile Verteidigung

In der Studienarbeit wird der ressortübergreifende Ansatz und die übergreifenden Handlungsnotwendigkeiten betont. Damit aber auch einmal mehr die angelegte Bundesperspektive. Auch der Verweis auf die Konzeption Zivile Verteidigung (KZV) aus dem Jahre 2016 verfestigt diesen Blick. Wie ich schon an anderer Stelle ausführte, ist die KZV viel weniger eine Konzeption, als vielmehr in etlichen Bereichen eine Sammlung von strategisch bedeutsamen Fragestellungen. Diese Fragestellungen müssen als Grundlage für die Erarbeitung konkreter Vorhaben und Maßnahmen dienen. Dazu bedarf es allerdings der Länder und Kommunen und auch der anerkannten Hilfsorganisationen. Und wenn in der KZV die Unterstützung der Streitkräfte als vierte von vier Aufgaben aufgeschrieben ist, dann könnten die anderen Aufgaben, wie etwa die Aufrechterhaltung der Staats- und Regierungsfunktionen oder Schutz der Bevölkerung aus Sicht des BMI eine höhere Priorität genießen.

Was leistet die Studienarbeit?

Die Studienarbeit „Gesamtverteidigung Deutschland“ des LGAN 2023 leistet einen wichtigen Beitrag in der aktuellen Diskussion um die Veränderungen der sicherheitspolitischen Lage in Deutschland und Europa. Sie arbeitet sehr detailliert heraus, welche Anforderungen die Bundeswehr an die zivile Verteidigung hat und beschreibt ihre eigenen Herausforderungen im Kontext der Gesamtverteidigung in beeindruckender Klarheit. Und ganz nebenbei erhöht das BMVg mit der Veröffentlichung als offizielle Druckschrift und durch das Vorwort des Generalinspekteurs der Bundeswehr nunmehr den Druck auf die zivile Seite, es ihr doch endlich gleich zu tun. Die Bundesebene als stärkste Ressource mit eigener Oberbehörde ist hier gefordert.

Bewertung 

Ob VPR 2023, Operationsplan Deutschland, oder nun diese Studienarbeit des LGAN 2023 „Gesamtverteidigung Deutschland“. Die Bundeswehr macht ihre Hausaufgaben. Die zivile Seite ist noch in der Bringepflicht. Es ist allerdings auch zu sagen, dass die Bundeswehr als große Organisation auch die personellen und strukturellen Ressourcen dazu hat, sich mit diesen Themen eingehend und konzeptionell zu befassen, während die zivile Seite mit schmalen personellen und finanziellen Ressourcen die alltägliche Gefahrenabwehr und die damit verbundenen immer neuen Herausforderungen und Katastrophen schultern muss. Dabei nicht mit der Nase unter Wasser zu geraten, ist die täglich neue Herausforderung. Vielleicht ist das ein Ansatzpunkt für die weitere Erörterung.

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Verwendete Schlagwörter

FührungsakademieGesamtverteidigungHilfsorganisationenKZV