NewsO-PlanZMZ

Gesamtverteidigungsfähig – Basis für einen anhaltenden Frieden

Über 30 Jahre nach der Wiedervereinigung und dem Abbau unserer militärischen- und zivilschutzartigen Fähigkeiten steht Deutschland am Beginn einer neuen Ära. Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine, verbunden mit dem Großmachtdenken Putins, bedrohen den Frieden Europas und damit auch den Frieden in Deutschland.

Verteidigung als Basis für Frieden
Schutz der Bevölkerung vor den im Verteidigungsfall drohenden Gefahren
Foto: Adobe Stock/Worrapol

Was kann, was muss Deutschland tun, um einen Krieg zu vermeiden? Strategen sagen: Umso stärker die Gesamtverteidigungsfähigkeit von Deutschland und Europa ist, desto geringer ist die Chance eines Angriffs auf einen NATO-Staat. In der NATO und in der Europäischen Union ist Deutschland als größte europäische Wirtschaftsmacht ein Eckpfeiler der „Sicherheitsarchitektur und Abschreckung“ gegenüber aggressiven Staaten, was Kanzler Scholz immer wieder betont und ergänzt: „Ohne Sicherheit ist alles andere nichts“.

Gesamtverteidigung

Über Gesamtverteidigung sprechen wir im Kontext von Bündnisverteidigung und Landesverteidigung (BV/LV). Die Gesamtverteidigung und unsere staatliche Resilienz werden durch eine militärische und eine zivile Säule beschrieben.

Das Militär definiert seine Stärke durch die Größe der Truppen, seine Ausrüstung, den Ausbildungsstand, der Führungsqualität und der Moral der Truppe.

Die Definition zivile Verteidigung und zivile Resilienz sind schwerer zu beschreiben.

Zivile Verteidigung, wie in der Konzeption Zivile Verteidigung (KZV) aus dem Jahre 2016 beschrieben, beinhaltet vier Aufgabenbereiche:

  • Aufrechterhaltung der Staats- und Regierungs­funktionen
  • Zivilschutz: Schutz der Bevölkerung vor den im Verteidigungsfall drohenden Gefahren
  • Notversorgung der Bevölkerung und Staats- und Regierungsorgane mit notwendigen Gütern und Leistungen
  • Unterstützung der Streitkräfte bei der Herstellung und Aufrechterhaltung ihrer Verteidigungsfähigkeit und Operationsfreiheit.

Die KZV beschreibt die Zusammenhänge und Prinzipien des Zivilschutzes und bildet die Basis für die Arbeiten in den ­Bundesressorts. Während der Bund eine Gesetzgebungs­kompetenz bei Themen wie Energie, Ernährung, Verkehrs­leistungen oder auch Postwesen und Telekommunikation hat, obliegt die Durchführung der entsprechenden Vorsorgegesetze (z.B. Energievorsorgesetz, Verkehrsleistungsgesetz) den Ländern. Auch bei gemeingefährdenden und übertragbaren Krankheiten obliegt dem Bund die Gesetzgebungskompetenz, den Ländern die Durchführung. Wie gut oder auch nicht gut dies funktioniert, durften wir während der Corona-Pandemie hautnah miterleben.

Unter Zivilschutz – also dem Schutz der Bevölkerung – werden vor allem folgende Fähigkeiten gesehen:

  • Selbstschutz
  • Warnung
  • Baulicher Schutz
  • Brandschutz
  • Evakuierung/Verteilung
  • Betreuung
  • Schutz der Gesundheit
  • Schutz vor den Auswirkungen chemischer, bio­logischer, radiologischer und nuklearer Ereignisse (CBRN-Schutz)
  • Technische Hilfe
  • Objektschutz
  • Kulturgutschutz

Aufbauend auf den Ahrtal-Erfahrungen hat der Bund in den letzten Jahren den Schwerpunkt auf den Bereich Warnung gelegt. In anderen Bereichen gibt es teilweise Initiativen, diese werden aber – wie später erläutert – teilweise sehr stiefmütterlich angegangen (Betreuung, Schutz der Gesundheit, CBRN, aber auch Selbstschutz).

Operativ betrachtet ist ein Zivilschutz nur dann effektiv, wenn es gut ausgebildete und gut ausgerüstete Zivilschutz-Einsatzkräfte gibt. Natürlich muss auch hier Führung und Moral stimmen. Im Unterschied zur Truppe (Bundeswehr) ist die Masse der Zivilschutz-Einsatzkräfte in Friedenszeiten ehrenamtlich aktiv. Dabei kommt es möglicherweise zu Überschneidungen, denn diese ehrenamtlichen Kräfte sind oftmals hauptberuflich in der Bundeswehr, in einer Blaulichtorganisation, in der Verwaltung, in einem Krankenhaus oder in einem Unternehmen der kritischen Infrastruktur tätig.

In Zeiten des Friedens und bei Katastropheneinsätzen stellt das kein Problem dar, diese Einsatzkräfte werden i. d. Regel von ihren Arbeitgebern freigestellt.

Im Falle von Landes- oder Bündnisverteidigung werden wir aber nur noch einen Bruchteil dieser Einsatzkräfte zur Verfügung haben. Wieviel genau kann derzeit niemand abschätzen.

Die Zivilschutzkräfte sollen dann sowohl zum Schutz der Bevölkerung als auch zur Herstellung und Aufrechterhaltung der Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr eingesetzt werden, letzteres vor allem bei Betreuung, Transport oder Weiterbehandlung verwundeter Soldaten sowie der Unterstützung im Rahmen des Host Nation Support der „Drehscheibe Deutschland“.

Zivile Resilienz beschreibt auch die Wehrhaftigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft. Wie anfällig sind wir als Gesellschaft, ist unsere Wirtschaft? Können wir mit den Folgen von hybriden Angriffen wie Blackouts, Cyberangriffen, einer Kombination von Katastrophen (menschlicher Natur, vielleicht durch gezielte Sabotage und / oder Cyberangriffe) umgehen? Haben wir die entsprechenden Notstromversorgungen? Sind unsere IT-Systeme resilient und sicher? Haben wir eine entsprechende Lagerhaltung, um weiter die Betriebe aufrecht zu halten und unsere Bürger mit dem notwendigsten zu versorgen? Sind unsere Bürger resilient um mit den oben beschriebenen Szenarien auch ohne externe Unterstützung für eine gewisse Zeit zu „überleben“? Dies ist ein Schwachpunkt in Deutschland! Alle verlassen sich auf den Staat, wie wir es auch in der Corona-Pandemie gesehen haben. Eigenvorsorge und Eigenverantwortung sind nur begrenzt vorhanden. Ein „Gemeinsam“ wäre das Wort der Zeit.

Organisatorisch besteht der Zivilschutz vor allem aus „öffentlichen Einrichtungen“ wie dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), dem Technischen Hilfswerk (THW) sowie den Feuerwehren.

Der Zivilschutz besteht zusätzlich aus den privaten Hilfsorganisationen wie z.B. der Johanniter-Unfall-Hilfe (JUH), dem Malteser-Hilfsdienst (MHD), dem Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) und der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG).

Während alle zuvor genannten Einrichtungen und Hilfsorganisationen die Aufgabe haben, die Bevölkerung vor drohenden Gefahren im Verteidigungsfall zu schützen, ist es zusätzlich die Aufgabe von DRK, JUH und MHD die Bundeswehr bei der Herstellung und Aufrechterhaltung ihrer Verteidigungsfähigkeit zu unterstützen. Dies ist im DRK-Gesetz (DRKG) aus 2008 geregelt. Alle drei Hilfsorganisationen sind i.S. des Artikels 26 des 1. Genfer Abkommens definiert.

Ein wichtiger Pfeiler des Zivilschutzes sind gut funktionierende Krankenhäuser mit ausreichenden Kapazitäten zur Versorgung von Verletzten, sowohl im militärischen als auch im zivilen Bereich. Die Bundeswehr geht, im Falle einer Bündnisverteidigung, aktuell von ca. 1.000 Verwundeten pro Tag aus, die nach Deutschland zurückfluten und zu 95% in zivilen Krankenhäusern versorgt werden müssen.

Zusätzlich bedarf es einer funktionierenden kritischen Infrastruktur (Verkehr, Strom, Wasser, Lebensmittel u.a.). Zur Koordinierung des Schutzes der Bevölkerung sind demnach alle Ministerien der Bundesregierung sowie die Landesregierungen und Kommunen gefragt. Auch diese müssen resilient und gesamtverteidigungsfähig werden.

Mit der Beteiligung so vieler Parteien ist es wichtig, dass alle von der gleichen Ausgangslage sprechen und die gleichen Ziele vor Augen haben sowie auch den Willen die zur Erreichung der Ziele erforderlichen Maßnahmen anzugehen und umzusetzen. Daher ist das vom Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit (ZOES) empfohlene „interdisziplinäres Lagebild“ entscheidend, um vor die Lage zu kommen und frühzeitig sich anbahnende Herausforderungen bei Naturkatastrophen wie auch im Falle BV/LV zu identifizieren und Gegenmaßnahmen einzuleiten.

Bereits bei dem einheitlichen Lagebild kränkelt es. Das schon lange existierende GMLZ (Gemeinsame Melde- und Lagezentrum) des BBK sowie das GeKoB (Gemeinsame Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz, beim BBK angesiedelt) sind aktuell nicht in der Lage, eine solche Aufgabe zu übernehmen.

Daher ist es auch nicht erstaunlich, dass die Ministerien weitgehend voneinander unkoordiniert arbeiten und unterschiedliche Wege beschreiten, wie es aktuell zwischen BMVg, BMI und BMG der Fall zu sein scheint. Vielleicht wäre ein „Nationaler Sicherheitsrat“ ein Instrument, um die Koordinierung zu fördern, die Regierung hat sich aber dagegen ausgesprochen. Die Pläne auf Seiten der Bundeswehr bzw. des BMVg erscheinen der aktuellen Gefahrenlagen angepasster zu sein. Dort wird ein erhöhter Handlungsbedarf gesehen, auch wenn es weiterhin an Geld fehlt. BMI und BMG hinken der Zeit noch weit hinterher, hier scheint es weder die Einsicht noch das Geld zu geben.

Rahmenbedingungen Gesamtverteidigung

Ein weiterer Unterschied zwischen militärischer und ziviler Verteidigung beruht auf den unterschiedlichen Rahmenbedingungen, Konzepten/Strategien und Gesetzen.

Rahmenbedingungen Gesamtverteidigung Deutschland
Rahmenbedingungen Gesamtverteidigung Deutschland

Die Rahmenbedingungen Gesamtverteidigung sind – wie nicht anders zu erwarten – über die Zeit gewachsen und wurden immer wieder angepasst. Es gibt multinationale und nationale Rahmenbedingungen. Das „Sendai Rahmenwerk für Katastrophenvorsorge“ (Vereinte Nationen) oder z. B. Vorgaben aus dem NATO-Vertrag, dem „NATO Strategic Concept“ (Madrid) und den „Alliance Resilience Objectives“ (Vilnius) beeinflussen wie wir uns im Bereich des Bevölkerungsschutzes aufstellen, und haben Auswirkungen auf unsere nationalen Strategien, Konzepte und ggf. auch Gesetze.

Da das „NATO Strategische Konzept“ (Madrid 2022) einen Rahmen für die zukünftige Ausrichtung der NATO darstellt, hat das Konzept bedeutende Implikationen für den Zivilschutz, der als integraler Bestandteil der Gesamtsicherheit gesehen wird. Erstmals wird der Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle bei der Stärkung der Resilienz als auch bei Krisenvorbereitung und -bewältigung beigemessen.

Ergänzend stellen die „NATO Resilience Objectives“ (2023) Anforderungen an die Mitgliedstaaten, um die Widerstandsfähigkeit der Allianz zu stärken und die NATO auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts vorzubereiten. Die Bedrohungsszenarien beinhalten u. a. Naturkatastrophen, Cyberangriffe, Energiekrisen, Pandemien, aber auch hybride Bedrohungen und die Vorbereitung auf Flüchtlingsströme. Die NATO legt Wert auf einen ganzheitlichen Ansatz für alle Bereiche unserer Gesellschaft, in der Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten, in Innovation und in der regelmäßigen Überprüfung der erlangten Resilienz.

Konzeption Zivile Verteidigung (2016)
Konzeption Zivile Verteidigung (2016)
  • Verbesserung der Krisenvorbereitung und -reaktion: Entwicklung und regelmäßige Überprüfung von Notfallplänen, Durchführung von Übungen und Schulungen.
  • Schutz kritischer Infrastrukturen: Identifizierung und Schutz von wichtigen Infrastrukturen wie Energieversorgung, Kommunikation und Transport.
  • Cyberabwehr: Stärkung der Cyberabwehrfähigkeiten, um sich vor Cyberangriffen zu schützen.
  • Resiliente Lieferketten: Aufbau robuster Lieferketten, um die Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten zu verringern.
  • Informationssicherheit: Schutz vor Desinformation und Propaganda.
  • Zivile Verteidigung: Stärkung der zivilen Verteidigung, um die Bevölkerung im Krisenfall zu schützen.
  • Forschung und Entwicklung: Förderung von Forschung und Entwicklung im Bereich der Resilienz.

Das „Sendai-Rahmenwerk für Katastrophenvorsorge“ (Vereinte Nationen) ist eine internationale Übereinkunft, die darauf abzielt, die weltweite Widerstandsfähigkeit gegenüber Naturkatastrophen und von Menschen verursachten Gefahren zu erhöhen. Es wurde 2015 mit folgenden Zielen verabschiedet:

  • Risikoreduktion anstelle von Reaktion auf ­Katastrophen
  • Ganzheitlicher Ansatz unter Berücksichtigung sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Aspekte
  • Internationale Zusammenarbeit und Wissensaustausch
  • Förderung gesellschaftlicher Resilienz

Für Deutschland bedeutet dies: Prävention steht im Fokus. Dazu ist ein effektives Risikomanagement erforderlich. Ein ganzheit­liches Katastrophenmanagement erfordert eine interministerielle Zusammenarbeit; die Zivilgesellschaft muss gestärkt werden. Digitalisierung – vor allem im Zivilschutz – ist erforderlich, um eine schnellere und effizientere Reaktion auf Katastrophen zu ermöglichen.

Im nationalen Kontext gibt es einige wesentliche Dokumente, die die Gesamtverteidigung beschreiben.

Das Grundgesetz bietet mit den Artikeln 1, 2 und 13 einen Anspruch der Bürger auf Schutz bzw. Sicherheit. Die in Artikel 56 vorgeschriebene Eidesformel für Bundespräsident, Bundeskanzler und Bundesminister deutet auf die Pflicht der Regierung, die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten.: „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.“

„Rahmenrichtlinien Gesamtverteidigung“ (RRGV): Diese wurden erstmals 1989 veröffentlicht und dienten als konzeptionelle Grundlage für die Gesamtverteidigung der Bundesrepublik Deutschland. Sie umfassten sowohl militärische als auch zivile Aspekte um sicherzustellen, dass die gesamte Gesellschaft im Falle einer Krise oder eines bewaffneten Angriffs handlungsfähig bleibt.

Die RRGV dienten als konzeptionelle Grundlage für das „Gesetz über den Zivilschutz und die Katastrophenhilfe des Bundes“ (ZSKG), was insbesondere die Aufgaben und Zuständigkeiten von Bund, Ländern und Kommunen im Bereich des Zivilschutzes und der Katastrophenhilfe regelt. Unter anderem wurde im §13 des ZSKG festgelegt, dass der Bund die Ausstattung des Katastrophenschutzes in den Aufgabenbereichen Brandschutz, ABC-Schutz, Sanitätswesen und Betreuung ergänzt. Hierzu wurde 2007 ein Soll-Bestand definiert, der bis heute – trotz der sich zugespitzten Lage und Zeitenwende – noch immer signifikant unterschritten wird.

Ersetzt wurden die RRGV durch eine neue und auf der Nationalen Sicherheitsstrategie aufbauenden Fassung in 2024 (RRGV 2023). 1989 lag der Fokus primär auf der militärischen Verteidigung gegen einen konventionellen Angriff aus dem Osten. Die zivile Verteidigung war zwar ein Bestandteil, jedoch eher nur als unterstützender Faktor konzipiert.

2023 hat sich der Fokus verbreitert und umfasst neben der militärischen Verteidigung auch die Abwehr hybrider Bedrohungen, die Bekämpfung des Terrorismus, die Bewältigung von Naturkatastrophen sowie die Anpassung an den Klimawandel. Zivile Verteidigung spielt eine wesentlich zentralere Rolle und ist integraler Bestandteil der Gesamtsicherheit. Daher spiegelt die RRGV 2023 einen Paradigmenwechsel durch die Erweiterung des Begriffs „Gesamtverteidigung“ auf eine Vielzahl von komplexen und sich ständig ändernden Herausforderungen sowie der zentralen Rolle der militärischen und zivilen Verteidigung wider.

2016 wurden zwei wichtige strategische Dokumente der Sicherheitsarchitektur Deutschlands, das „Weißbuch der Bundeswehr“ (2016) und die „Konzeption Zivile Verteidigung“ (KZV 2016) veröffentlicht. Beide Dokumente sind eng miteinander verknüpft und ergänzen sich gegenseitig. Das Weißbuch definiert u.a. die strategische Ausrichtung, während die KZV vier zentrale Aufgabenbereiche und eine Vielzahl konkreter Maßnahmen festlegt.

So wurde z.B. definiert, dass die Länder darauf vorbereitet sein müssen, 1 % ihrer Bevölkerung – aufgrund von Evakuierung, Flucht o. ä. – unterbringen und betreuen zu können. Der Bund unterstützt die Fähigkeiten der Länder gemäß dem „Rahmenkonzept Betreuung“ mit zusätzlicher Ausstattung und Ausbildung. Hierzu wurde u. a. das Konzept der „Mobilen Betreuungsreserve“ zur Aufnahme von 5.000 unverletzt betroffenen Personen ent­wickelt. 10 Einheiten dieser Betreuungsreserve („Labor Betreuung 5.000“) sollten im Rahmen eines Piloten entwickelt werden. Defacto existiert aktuell ein einziges Modul beim Deutschen Roten Kreuz, ein weiteres ist in der Beschaffung. Die Kosten eines Moduls werden mit über 30 Mio. Euro beziffert, Tendenz steigend. Wann die zweite Einheit einsatzklar ist, steht in den Sternen, von den weiteren acht Einheiten ganz zu schweigen, denn die Umsetzung (aller) in der KZV definierten Maßnahmen steht unter Haushaltsvorbehalt im Einklang mit der Haushaltskonsolidierung der Bundesregierung.

Der Haushaltsvorbehalt ist seit 30 Jahren mit ein Grund für die Misere bei der Bundeswehr und auch beim Bevölkerungsschutz. Trotz steigender Haushalte werden die Prioritäten woanders – manche mögen auch sagen falsch – gesetzt. Als Beispiel: Der Haushalt des BBK und des THW müssten, unter Berücksichtigung der Inflation, im Vergleich zu 2021 bei ca. 850-900 Mio. Euro liegen (ohne Zeitenwendeneffekt). Aktuell liegt diese Haushalte bei ca. 560 Mio. Euro.

Die im Juni 2023 veröffentlichte „Nationale Sicherheitsstrategie“ (NSS) räumt der Zivilen Verteidigung einen wesentlich höheren Stellenwert ein als frühere Strategien und betont folgende Punkte:

  • Zivile Verteidigung ist integraler Bestandteil der Gesamtverteidigung und umfasst auch die Vorbereitung auf hybride Bedrohungen und Konflikte.
  • Die Resilienz von Staat und Gesellschaft ist zu stärken. Deutschland muss besser auf Krisen und Katastrophen vorbereitet sein, um sich schneller von ihnen erholen zu können.
  • Eine enge Zusammenarbeit zwischen staatlichen Ebenen, zivilen Organisationen und der Wirtschaft ist erforderlich, um zivile Verteidigung effektiv zu gestalten.
  • Strukturen und Prozesse im Zivilschutz müssen modernisiert werden.
  • Der Fokus liegt auf Prävention und Vorbereitung.

Die NSS ist die Basis für weitere Unterlagen, so z. B. für die Verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundeswehr (2023), die die Konzeption der Bundeswehr vom Juli 2018 ablöst.

Die Risikoanalyse Zivilschutz 2023 ist eine umfassende (Neu-) Bewertung der potenziellen Gefahren, denen Deutschland und seine Bevölkerung ausgesetzt sind und bildet die Grundlage für die Entwicklung und Anpassung von Sicherheitskonzepten und Maßnahmen. Sie hat damit auch eine Auswirkung auf die RRGV 2023, weniger aber auf die KZV aus dem Jahre 2016, die heute (leider) noch immer Bestand hat.

Die Risikoanalyse beschreibt die klassischen militärischen Bedrohungen, aber auch eine Vielzahl von zivilen Risiken wie Naturkatastrophen (Hochwasser, Stürme), technische Risiken (Stromausfall, Cyberangriffe), gesellschaftliche Risiken (Pandemien, Terrorismus) und Risiken wie Klimawandel. Dabei werden die Risiken als zunehmend komplex und miteinander vernetzt beschrieben, ggfs. sogar mit Kaskadeneffekten (z.B. Naturkatstrophen, die zu technischen Ausfällen führen), die dann ganze Systeme zum Erliegen bringen.

Die sicherheitspolitische Zeitenwende wird in der Risikoanalyse berücksichtigt, und damit sind auch CBRN-Szenarien wieder auf dem Tableau dessen, wovor wir uns schützen müssen. Um gegenüber diesen Risiken gewappnet zu sein, ist eine enge Zusammenarbeit aller Akteure (Bund, Länder, Kommunen, Wirtschaft und Gesellschaft) erforderlich. Die Resilienz muss gesteigert werden, es muss verstärkt in die zivile und militärische Verteidigung investiert werden.

Fazit

Die von Kanzler Scholz ausgerufene Zeitenwende und die von ihm angestrebte Rolle in der Sicherheitsarchitektur von EU und NATO erfordern konkretes Handeln. Konzepte stehen seit Jahren zur Verfügung, ohne umgesetzt zu werden. Deutschland fehlt der Wille „ohne Sicherheit ist alles nichts“ auch mit Leben zu füllen. Minister Pistorius, ebenso wie das BBK, gehen von einem 3-5 Jahreszeitraum aus, um „kriegstüchtig“ zu werden, d.h. um die Gesamtverteidigung so aufzubauen, dass sie auch als Abschreckung für mögliche Aggressoren dient. Dies erfordert das gleiche Verständnis der Lage und der Zielstellung in allen Ministerien. Dies erfordert aufeinander abgestimmte Strategien zwischen z. B. BMVg, BMI und BMG bei der Versorgung von verletzten Bürgern und verwundeten Soldaten.

Bund, Länder und Kommunen müssen das gleiche Ziel verfolgen und Wirtschaft / Gesellschaft müssen resilient werden.

Nebelkerzen des BMI wie z.B. bei der Bevorratung von Sanitätsmaterial – es sind von 2023 bis 2025 jeweils 99 Tsd. Euro pro Jahr vorgesehen – müssen aufhören. Ein „Weiter so“ im Zivilschutz und eine Umsetzung dringend erforderlicher Maßnahmen nur nach Haushaltslage werden nicht zu dem gewünschten Ziel führen. Im Gegenteil, die Bundesregierung (BMI) suggeriert ein ­Handeln, wenn doch eigentlich nur wenig passiert. Bewusste oder unbewusste Täuschung? Auf jeden Fall erweckt sie den Eindruck, als ob wir noch nichts aus der Vergangenheit gelernt hätten. Ein „Weiter so“ führt dazu, dass wir weiterhin hinter der Lage sein werden. Es fehlen uns, wie auch schon zu Zeiten der Pandemie, nicht die Erkenntnisse was gemacht werden muss, sondern der politische Wille die erforderlichen Maßnahmen aktiv anzugehen.

Autor: Alexander Graf von Gneisenau

Erstmals erschienen in: Crisis Prevention 4/2024

Beitrag teilen

Das könnte Sie auch interessieren

Anzeige

Verwendete Schlagwörter

GesamtverteidigungZivile VerteidigungZMZ
Index