Alexander Held ist studierter Forstwissenschaftler und ein Experte in allen Fragen rund um Waldbrandprävention und -bekämpfung. Im Bereich der Feuerökologie und des Feuermanagements konnte er in seiner beruflichen Laufbahn bei operativen Einsätzen in den USA und in Südafrika mitarbeiten und wertvolle Erkenntnisse sammeln, die er heute im Rahmen seiner Tätigkeit beim European Forest Institute (EFI) als Fachexperte bündelt und an Entscheider weitergibt. Aktuell arbeitet er an einem Projekt zu Waldbrandbekämpfung auf munitionsbelasteten Flächen, einem trotz Dringlichkeit bislang in Deutschland vernachlässigten Thema.
Bevölkerungsschutz und zivilmilitärische Zusammenarbeit sind neben innerer Sicherheit die großen Themenbereiche des Security Networks. Wie gut passt Ihr Projekt zur Waldbrandbekämpfung auf munitionsbelasteten Flächen da hinein?
Ich glaube, dass das tatsächlich wie die Faust aufs Auge passt und eine enorme Relevanz für Deutschland hat. Gleichzeitig ist es ein Thema, das auch mit Blick auf die Ukraine hochaktuell ist. Der Forstsektor steht hier enorm unter Druck, nicht nur wegen der Munitionsthematik, sondern auch bezogen auf Personal- und Ressourcenmangel – und das in allen Ländern, die Konfliktzonen sind oder waren und passende Wetterbedingungen für Vegetationsbrände aufweisen: Libanon, Palästina, Afghanistan, Syrien, Sri Lanka, Irak, Iran, Mosambik, Angola, Kolumbien, … Wenn man anfängt, darüber nachzudenken, ist die Liste relativ lang.
Als frühere Konfliktzone sind auch bestimmte Teile Deutschlands zu nennen, zum Beispiel Brandenburg. Wenn es dort heute im Wald brennt, ist das Thema nicht rein zivil, sondern es kommt wegen der Munitionsbelastung oft auch die Bundeswehr dazu, auch wenn das meist ungeplant ist.
Weiß man denn, wie groß die Fläche an besonders munitionsbelasteten Gebieten in Deutschland ist?
Es gibt ein internes Dokument, das munitionsbelastete Flächen in Deutschland ausweist. Darin wird von knapp 500.000 Hektar Fläche gesprochen, die so verseucht ist, dass die Feuerwehr sie als Sperrgebiet ansieht, wenn es um das Löschen von Waldbränden geht. Dass man in ganz Brandenburg Blindgänger findet, ist klar, weil dort so viel Kampfhandlung passiert ist. Schwerpunktflächen sind da neben den Gefechtsstellungen der Vergangenheit vor allem die früheren Truppenübungsplätze. Dort finden sich Überreste aus mehr als 150 Jahren militärischer Geschichte: Zunächst übte dort schon die Reichswehr, später die Wehrmacht und dann die Bundeswehr.
Welche Gefahren gehen denn generell von munitionsbelasteten Flächen aus?
Munitionsbelastung ist nicht nur ein relevantes Thema, wenn es um Brände in diesen Bereichen geht, sondern auch aus Umweltsicht. Die verborgenen Munitionsteile korrodieren und setzen Schadstoffe frei, die schlussendlich im Trinkwasser landen. Das ist ein absoluter Skandal!
500.000 Hektar schwer belastetes Gelände komplett in der Tiefe zu beräumen – das kann überhaupt niemand leisten, weder finanziell, noch räumlich oder zeitlich. Also hat es sich eingebürgert, lieber nicht hinzugucken. Das würde schon vorbeigehen, dieses Thema. Getreu dem Motto: „Hoffentlich brennt es nicht und hoffentlich ist mein eigenes Grundwasser nicht morgen so sehr belastet, dass ich es nicht mehr trinken kann.“
Die Politik schaut hier meiner Meinung nach oft bewusst weg, weil man genau weiß, dass es keine schnelle und einfache Lösung dafür gibt.
In Brandenburg und Sachsen lässt sich ein vermehrtes Waldbrandgeschehen beobachten. Gibt es hier möglicherweise Zusammenhänge zu der besonderen Munitionsbelastung?
Wir müssen sagen: Hier ist ganz klar, dass die Problemwaldbrände immer und fast ausschließlich auf munitionsbelasteten Flächen stattfinden. Alle anderen Brände hat man mehr oder weniger unter Kontrolle.
Munition im Kontext von Waldbrand ist auf jeden Fall eines der brennenden Themen für die zivile Sicherheit in Brandenburg und Sachsen.
Wie geht die Feuerwehr denn bislang vor, wenn ein Waldbrand auf einem munitionsbelasteten Gebiet ausbricht?
Wenn der Verdacht auf Munitionsbelastung besteht, müssen 1000 Meter Abstand gehalten werden. Unter Deckung – wobei man sagen muss, dass dieser Begriff nie richtig definiert wurde – dürfen Einsatzkräfte bis zu 500 Meter an das Gebiet heran. Das hat zur Folge, dass Feuerwehren entweder außen herumstehen und warten, bis das Feuer irgendwo hin brennt, wo keine Gefahr durch Munition mehr besteht, oder dass sie die Regel brechen und doch zur Brandbekämpfung in das Gebiet eindringen. Beide Reaktionen auf diese Einsatzregeln sind Murks, Quatsch, schlecht, gefährlich.
Das andere Problem an dieser Sache ist, dass es natürlich in der Nähe von diesen belasteten Gebieten Siedlungsflächen und Infrastruktur gibt. Wenn man dort die Abstandsregeln einhält, müsste man eigentlich die Siedlungen evakuieren und einfach niederbrennen lassen – macht ja natürlich keiner. Feuerwehren brechen also die Regeln, um Infrastruktur und menschliche Werte zu schützen. Die Einsatzkräfte sind in diesem Spannungsfeld gefangen, denn entweder gehen sie beim Brechen der Regeln ein enormes persönliches Risiko ein oder sie werden am Ende dafür kritisiert, dass die Brandflächen riesengroß und Wohngebiete zerstört werden.
Man könnte hier auch die Frage stellen, warum man nicht wenigstens einen Bereich von 100 Metern rund um Siedlungsflächen beräumt, damit die Feuerwehr in diesen Bereichen ordentlich und sicher löschen kann, wenn es zum Waldbrand kommt, oder Förster ordentliche Präventionsmaßnahmen betreiben können. Aber dafür gibt es zu oft kein Geld.
Die Zuständigkeit für das Vorgehen im Brandfall liegt hier am Ende in diesem besonderen Fall beim Kampfmittelräumdienst, der natürlich nicht das Brechen der Abstandsregeln anordnen kann. So uneindeutig wurde jedenfalls in den letzten Jahrzehnten mit dem Thema umgegangen – meiner Meinung nach hat man sich einfach nicht wirklich an dieses Problem herangetraut.
Wie sieht es denn in anderen Ländern und Regionen der Welt aus – gibt es dort klare Vorgehensweisen?
Es ist unseren Recherchen und Erfahrungen nach weltweit das gleiche Problem:
Es gibt keine standardisierten oder operationalisierten Prozeduren, wie mit Feuern auf munitionsbelasteten Flächen umgegangen werden soll.
In Griechenland zum Beispiel gibt es einen Landstrich in einem Gebirge, der immer noch eine Munitionsverseuchung aus dem Zweiten Weltkrieg aufweist. Dort lässt man das Feuer einfach unkontrolliert brennen. In Amerika gibt es eine kleine Seite in einem Handbuch, darin steht: „If you didn’t drop it, don’t touch it“. Es ist dasselbe: Man traut sich nicht an das Thema ran.
So wie in Deutschland, wenn man einen Waldbrand auf einer munitionsbelasteten Fläche hat: „Wir haben keinen Plan, was wir tun, außer 1000 Meter Abstand halten“. Da merkt man ganz offensichtlich, dass es Lücken in der Ausbildung und in der Strategie gibt.
Wo setzen Sie in diesem Problemkomplex mit Ihrem Projekt an?
Unsere Motivation ist diesen Stillstand zu überwinden. Wir sind gerade dabei die sogenannte UXO-Fire-Management-Toolbox zu entwickeln. Zwischen 2010 und 2013 haben wir begonnen in Brandenburg auf munitionsbelasteten Flächen Naturschutzfeuer zu zünden, um die Offenlandschaft und die Heide zu verjüngen und langfristig zu erhalten. 2015 bin ich dann auf der INTERSCHUTZ über die kroatische Firma DOK-ING gestolpert, die ferngesteuerte Minenräumgeräte entwickelt, baut und einsetzt. Nach meinem Kenntnisstand ist das bis heute das einzige Unternehmen, das solche purpose-built Minenräumer baut. Die anderen verwenden vielleicht Minenräumpanzer einer Armee, damit ist man aber nicht mehr bei humanitären Minenräumern. Oder sie nutzen ein Baggerfahrgestell oder ähnliches und bauen eben vorne einen Minenräumer an.
Die Kroaten haben mich wirklich mit ihrer Technik beeindruckt, weshalb ich noch im gleichen Jahr den Kontakt aufgenommen habe, um zu testen, ob mit deren Minenräumern nicht nur alte Munition unschädlich gemacht werden, sondern durch das Eindringen des Geräts in den Boden auch eine Feuerkontrolllinie erzeugt werden könnte. Das haben wir in Kroatien auf deren Steinboden getestet und da dachte ich: Wenn das dort geht, dann geht das auf Sand in Brandenburg bestimmt auch.
Ein erster wichtiger Meilenstein! Denn um Feuer zu kontrollieren, wird immer irgendwo eine Kontrolllinie gebraucht, von der aus weitere Bekämpfungsmaßnahmen umgesetzt werden können. Man könnte je nach Entscheidung der Flächeneigentümer alle 50, 100 oder 500 Hektar schon mal eine munitionsfreie Linie erzeugen, um voranzukommen.
2023 wurden dann zwei Maschinen aus Kroatien nach Brandenburg geliefert und so haben wir dann getestet, wie gut diese Technik dort funktioniert – mit Erfolg. Brandenburg hat die Geräte tatsächlich gekauft und so einen Minenräumer, einen Löschpanzer und ein Kommandofahrzeug übernommen, um den Stillstand im Thema Waldbrand auf munitionsbelasteten Flächen endlich zu überwinden.
Reichen denn solche munitionsfreien Wundlinien schon aus, um ein großes Feuer zu stoppen?
Die Linie im Wald allein stoppt noch kein Feuer. Man muss dann entweder noch ein Gegenfeuer oder ein Vorfeuer erzeugen oder eine Sprinkleranlage aufstellen, etc.. Ohne diese Linie kann man wiederum auch nichts machen – sie ist eine grundlegende Voraussetzung. Die Linie lässt sich unserer Erfahrung nach mit dem kroatischen MV-4 anlegen und mit dem MVF-5 sichern. Diese Technik ist sowohl ferngesteuert als auch gepanzert und mit mehreren Tonnen Wasser bestückt, sodass neben dem Nasshalten der Linie auch Objektschutz damit betrieben werden könnte.
Sich darauf zu verlassen, dass die Wundlinie durch Feuchtigkeit für die Eindämmung eines Brandes wirkt, ist nicht ideal, denn unabhängig vom Ort des Geschehens ist bei einem Waldbrand in der Regel nie genügend Wasser für die Bekämpfungsarbeiten vorhanden. Es ist also besser, die munitionsfreie gefräste Linie, auf der man relativ sicher fahren und laufen kann, für das Legen eines Vorfeuers zu nutzen. Solche beräumten Wundlinien kann man übrigens wunderbar präventiv vor der Feuersaison anlegen…
Wie kann die Methode des Vorfeuer-Legens unter Berücksichtigung der besonderen Gefahren auf munitionsbelasteten Flächen gelingen?
Natürlich sollte man das nicht zu Fuß erledigen, da man sich direkt neben munitionsbelasteter Fläche bewegt. Es gibt für diese Angelegenheiten zum Beispiel Zünddrohnen, mit denen man unbemannt und ferngesteuert aus sicherem Abstand die Feuer zünden kann.
Der erste Schritt im ganzen Verfahren ist also zunächst die Errichtung der Wundlinie bzw. Kontrolllinie. Im zweiten Schritt fliegt dann die Zünddrohne an dieser geräumten Linie entlang, um das Vor- oder das Gegenfeuer zu managen. So kann die Linie, die zuvor vielleicht zwischen drei und fünf Metern breit war, aufweiten auf eine Breite von 50 oder 100 Metern.
Das kann man natürlich auch präventiv machen, zum Beispiel jetzt im März, sodass man vorbereitend auf die Waldbrandsaison schon einen Wundstreifen vorfindet plus eine entsprechend breite ausgebrannte Fläche, die der Heide in der Regel auf den munitionsbelasteten Flächen nicht schadet.
Welche weiteren Instrumente sammeln Sie in der UXO-Fire-Management-Toolbox?
Neben den Instrumenten zur Herstellung munitionsfreier Wundlinien und den Zünddrohnen für die Vorfeuer kann man diese Toolbox natürlich noch viel weiterspinnen und zum Beispiel Sensorik einbauen für die Ultrafrüherkennung, damit man möglichst schnell bemerkt, dass es irgendwo brennt. Es gibt in Kalifornien natürlich tausend Startup-Firmen, die irgendetwas rund um Robotertechnik entwickeln. Da muss man sagen: Es gibt echt eine enorme Entwicklung bei Drohnen und Satellitentechnik, die die Detektion und Beobachtung von Feuer neben Risikoanalysen ermöglicht. Was ich sagen will: Die Toolbox ist noch lange nicht voll.
Befinden sich diese Tools denn schon in der Anwendung?
Die ersten Tools der Box sind jetzt schon in der Anwendung. Sie funktionieren oder sind in Brandenburg noch im Aufbau. Wegweisend wird für uns auch die Vorführung der Tools mit Feuer und Drohnen in der Ukraine, ganz in der Nähe von Kiew. Ich würde sagen, dass sich die Toolbox fast schon zu einem Exportschlager entwickelt.
Dass Brandenburg unser Konzept getestet und adoptiert hat, hilft natürlich sehr. Auch das Nachbarland Sachsen schaut jetzt darauf und es würde natürlich Sinn ergeben, wenn Sachsen dann auch in die gleiche Technik investiert, damit man nicht schon wieder Parallelstrukturen aufbaut.
Die Techniken der Toolbox stammen nicht aus irgendwelchen Ideen, die nur am Computer entwickelt wurden, sondern sind robust und haben sich in der Vergangenheit in Konfliktgebieten bewährt. Wir entfremden diese Dinge nur ein bisschen in dem Sinne, dass wir eben nicht nur Minen räumen, sondern die Techniken mit passenden Vorgehensweisen zur Waldbrandbekämpfung und -prävention verknüpfen.
Es ist keine große Innovation, eigentlich nur ein neuer Ansatz.
Auch die Idee die Zünddrohnen dazu noch einzusetzen, beruht eigentlich auf einem Steinzeit-Tool: Schon die Aboriginies wussten Feuer mit Feuer zu bekämpfen. Man muss die Dinge manchmal einfach neu denken. Und wir sind im Projekt sehr offen gegenüber neuen Impulsen und Ideengebern, die sich konstruktiv in die Weiterentwicklung der Toolbox einbringen können, sei es aus der Industrie oder aus der Forschung. Vielleicht findet man ja auch tatsächlich Mitstreiter aus der Rüstungsindustrie. Wir wollen nicht immer auf irgendwelche langsamen Regierungen warten und an Projekten arbeiten, die sowieso nach einem Jahr wieder vorbei sind, sondern vielmehr ein Konsortium bilden, um diese Toolbox weltweit und langfristig zu entwickeln.
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