Vom 5. bis zum 7. Februar 2025 fand der zweite Fachkongress des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) in Bonn statt. In zahlreichen Vorträgen und Diskussionen wurden diverse Themen rund um den Bevölkerungsschutz und die dazugehörige Forschung betrachtet. Ein Schwerpunkt lag dabei in diesem Jahr auf dem Zusammenhang von Bildungsforschung und Bevölkerungsschutz, da echter Zivilschutz nicht nur mit einigen wenigen Experten gelingen kann, sondern die gesamte Gesellschaft über alle Altersklassen hinweg gefragt ist.
Der Zivilschutz gehört zum Aufgabenbereich des Bundes. Dies wird durch §1 des ZSKG (Gesetz über den Zivilschutz und die Katastrophenhilfe des Bundes) und Artikel 73 des Grundgesetzes festgelegt. Neben Maßnahmen zur Bevölkerungswarnung, dem Schutz von Gesundheit und von Kulturgut nimmt insbesondere der Selbstschutz der Bevölkerung einen großen Teil des Zivilschutzes ein. An dieser Stelle stellt sich die Frage: Wie erlangt eine Gesellschaft eigentlich die Fähigkeiten zum Selbstschutz? Angeboren sind sie schließlich nicht.
Bildungstheorie und Lernen im Kontext des Bevölkerungsschutzes
Im Allgemeinen wird in Bezug auf Lernprozesse zwischen formellem Lernen und informellem Lernen unterschieden. Formell organisiertes Lernen findet in dafür ins Leben gerufenen Settings statt, beispielsweise in der Schule oder in vergleichbaren Bildungseinrichtungen, und folgt den Instruktionen einer Lehrperson. Informelles Lernen hingegen geschieht bei alltäglichen Handlungen umgangssprachlich ausgedrückt ‚nebenbei‘ und folgt daher keinem geplanten Schema.
Sophie Lacher und Prof. Dr. Matthias Rohs von der RPTU Kaiserslautern-Landau stellen im Rahmen eines noch laufenden Forschungsprojektes fest, dass in Bezug auf den Selbstschutz relativ wenige Angebote zur formellen Weiterbildung für Erwachsene existieren. Dagegen sehen die Forschenden eine Vielzahl an informellen Lernmöglichkeiten in Form von privaten Internetseiten und Foren, deren Vertrauenswürdigkeit teilweise allerdings schwer überprüfbar sei.
In Einklang zu diesen Zahlen ergab eine weitere Umfrage im Rahmen dieses Forschungsprojektes, dass 55 Prozent der Befragten Informationen zum Selbstschutz aus dem Internet für wichtig erachteten – nur 22 Prozent allerdings fänden formelle Lernveranstaltungen dazu relevant. Besonders beliebt zur Eigenrecherche erscheinen Prepper-Foren.
Beispiele informellen Lernens zum Bevölkerungsschutz: Prepper-Foren
Eine schlichte Google-Suche genügt, um zu sehen, dass es im deutschsprachigen Raum eine große Zahl an sogenannten Prepper-Foren gibt.
Das Wort ‚preppen‘, entlehnt vom englischen ‚prepare‘ wie ‚vorbereiten‘, fasst verschiedene Tätigkeiten des auf Vorsorge bedachten Sammelns und Vorbereitens zusammen. Auf diesen Seiten tauschen sich Menschen also darüber aus, wie sie sich selbst für verschiedenste Notlagen und Katastrophenfälle rüsten und teilen ihr Wissen dazu. Die besondere Beschaffenheit von Prepper-Foren hat Sebastian Koch von der Universität Konstanz näher betrachtet: Im Rahmen einer medienethnographischen Feldforschung ist er selbst Teil der Prepper-Community geworden und teilte nun seine Beobachtungsergebnisse beim BBK-Fachkongress. Diese manifestieren sich vor allem in vier zentralen Punkten:
1. Zukunftsbezug
Prepper-Foren beziehen sich als ‚Szenariopools‘ auf eine Vielzahl von möglichen Zukunftsszenarien, für die vorgesorgt werden will. Unabhängig davon, wie viel sich die User in der Gegenwart schon mit der Vorsorge für Krisenfälle auseinandergesetzt haben, verbleibt ihr Blick in der weiteren Zukunft.
2. Materialität
Preppen bedeutet das Anhäufen von Ansammlungen, Listen und für verschiedene Notfälle gepackten Rucksäcken. Eine begrenzte Menge an verfügbaren Materialien soll hierbei für eine größtmögliche Anzahl an denkbaren Zukünften Verwendung finden. Somit verbleiben die Handlungen, die auf den Prepper-Foren beschrieben werden, nicht in theoretischen Überlegungen, sondern führen bei den Einzelnen immer zu einem materiellen Handeln.
3. Instabilität
Die Texte und Unterhaltungen in Prepper-Foren verfolgen den diskursiven Ansatz, dass man ‚nie für alles vorgesorgt haben kann‘ und man somit immer weiter preppen muss, um sich für bisher unvorhersehbare Ereignisse zu rüsten. Es verbleibt also ein Empfinden von Prekarität, da die Aussicht auf Vorhersehbarkeit und psychischer sowie körperlicher Sicherheit fehlen.
4. Sozial-Reflexiver Charakter
In erster Linie erfüllen Prepper-Foren eine epistemische Funktion, da sie der Entstehung und Verstetigung von Wissen dienen. Dennoch lassen sich bestimmte soziale Bewegungen beobachten, die Sebastian Koch als Ego-versus-Alter-Haltung bezeichnet: Gemeint ist damit ein Spannungsfeld zwischen kollektiver Hilfsbereitschaft und dem Drang, als erstes für sich selbst zu sorgen. Unabhängig von diesen Inklusions- und Exklusionsmechanismen beobachtet er im Sinne einer sozialen Infrastrukturierung aber vor allem auch Tendenzen von Vergemeinschaftung und Kollektivität, da sich die ‚Prepper-Gemeinde‘ stark als von dem Rest der Gesellschaft abgegrenzt betrachtet. Somit vermitteln Prepper-Foren ein Gefühl sozialer Zugehörigkeit und ermöglichen Identitätsstiftung.
Als Ergebnis hält Sebastian Koch fest, dass das Preppen eine soziale Praxis darstellt und die entsprechenden Foren als soziale Gemeinschaften angesehen werden können, in denen vieles zum Selbstschutz gelernt werden kann.
Fazit: Wie steht es um die deutsche Bildung zum Zivilschutz?
Die große Zahl an privat organisierten Foren und Internetseiten zeigt, dass sich ein bedeutender Teil der Gesellschaft für die Themen Zivilschutz und Selbstschutz interessiert. Viele Foren enthielten laut der Forschenden stichhaltige und brauchbare Informationen, die für den Ernstfall tatsächlich helfen können. Es stehe als Überlegung im Raum, die Potenziale der bestehenden Internetseiten zu nutzen und durch eine fachliche Moderation an die Qualitätskriterien der öffentlichen Behörden anzupassen, um möglicher Desinformation entgegenwirken zu können – dies ist allerdings bis hierhin nur ein Gedankenexperiment.
Dem Diskurs der BBK-Fachtagung sind neben den bestehenden Überlegungen auch mahnende Worte zu vernehmen, dass von staatlicher Seite in Sachen Bildung zum Selbstschutz Nachholbedarf bestehe:
Ich sehe mindestens drei erhebliche Herausforderungen: Erstens gibt es eine Zuständigkeits- und Kompetenz-Problematik an den Schnittstellen zwischen dem Bildungsressort, dem Innenressort sowie dem Sozial- und Gesundheitsressort. Zweitens sehen wir im Bildungswesen einen erheblichen Fachkräftemangel. Somit könnten Innovationen kaum umgesetzt werden. Und drittens fehlt da mitunter auch der politische Wille. Die Bedeutung von Bildung zur Zivilen Verteidigung für den gesamten Bevölkerungsschutz ist bislang hierbei jedenfalls nicht so erkannt worden, wie es eigentlich wünschenswert wäre,
stellt Prof. Dr. Harald Karutz in seiner Keynote als Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates des BBK fest. Seiner Ansicht nach sind somit für die Zukunft folgende drängenden Fragen zu klären: Welche Bildung ist geeignet, damit Menschen mit Krisen und Unsicherheit gut umgehen können? Wie kann das Thema der zivil-militärischen Zusammenarbeit in der Bildung zielgruppenspezifisch und produktiv verankert werden, ohne Lernende zu überfordern? Wie kann unser Bildungssystem resilient gemacht werden und gleichzeitig resiliente und mündige Bürger heranziehen? Es ist also weiterhin viel zu tun, um Deutschland und die gesamte Gesellschaft ‚zivilverteidigungstüchtig‘ zu machen.