Gesamtverteidigung oder Nationale Sicherheit 2025+

Am gestrigen Abend lud die Deutsche Atlantische Gesellschaft e.V. zu einem hybriden Panel zum Thema Gesamtverteidigung ein. Auf dem Podium waren Leon Eckert, MdB, Helena Quis von der Bertelsmann Stiftung und Generalleutnant a.D. Martin Schelleis, heute Bundesbeauftragter für Krisenresilienz des Malteser Hilfsdienstes e.V. (MHD e.V.).

Das hybride Panel geht der Frage der Gesamtverteidigung und des Schutzziels nach
Hybrides Panel der Deutschen Atlantischen Gesellschaft e.V. zur Gesamtverteidigung
Bild: KI-generiert

Unter der gekonnten Leitung der Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung, Sina-Maria Schweikle, entwickelten sich die 90 Minuten zu einem kurzweiligen, aufschlussreichen und auch tiefgründigen Gespräch, dass auch für jemanden, der sich seit Jahren mit diesem Thema befasst, einige neue Erkenntnisse und Denkanstöße brachte.

Leon Eckert, MdB

Der grüne Bundestagsabgeordnete Leon Eckert, zugleich Vorsitzender des Deutschen Komitees Katastrophenvorsorge e.V. (DKKV e.V.) stellte u.a. gleich eingangs die Frage, ob es aktuell überhaupt den rechtlichen Rahmen für alle Akteure gibt, um sich auf die Erfordernisse der Gesamtverteidigung bereits im Alltag vorzubereiten. Im Laufe des Panels hinterfragte er auch den bisherigen Top-Down-Ansatz des Krisenmanagements, der zu einer Anspruchshaltung der Bevölkerung geführt habe. Man müsse in der Krise solidarisch sein und der Staat müsse deutlich kommunizieren, dass jeder und jede zur Unterstützung gebraucht werde. Dazu müsse wieder stärker erklärt werden, warum es sich lohnt etwas zu tun.

Ein wichtiger Punkt war für Leon Eckert auch, dass auf allen föderalen Ebenen die Konnexität von Aufgabe und Geld gewährleistet ist. Und er wies darauf hin, dass noch immer drei von vier Aspekten der zivilen Verteidigung ohne Plan seien. Hier gehe es um die Aufrechterhaltung von Staats- und Regierungsfunktionen, den Zivilschutz und die Sicherstellungsgesetze. Zudem sei der gesamte Blaulicht-Bereich weder gehärtet, noch auf die Fragen der zivilen Verteidigung ausgerichtet.

Einen besonders interessanten Punkt setzte Eckert, als er einmal mehr die Diskussion um die Frage eröffnete, was im Gesamtkontext eigentlich unser Schutzziel sei. Damit verknüpfte er auch die Frage, wo eigentlich die Grenze des Staates sei. Leon Eckert hat dazu im Februar 2025 ein „Reformpapier Zivile Verteidigung 2025-2029“ vorgelegt, das seine Vorstellungen beschreibt, wie die Zeitenwende in der Zivilen Verteidigung umgesetzt werden kann. Es kann hier heruntergeladen werden. https://leon-eckert.de/wp-content/uploads/2025/01/Reformpapier-Zivile-Verteidigung-2025-2029.pdf

Helena Quis

Die Projektmanagerin der Bertelsmannstiftung befasst sich im Programm „Europas Zukunft“ mit den zentralen Fragen Preparedness, Resilienz, CIMIC und Gesamtverteidigung. Für sie war der Punkt entscheidend, wie man das Thema auf die Bevölkerung bringen könne. Dazu sei der Dreh- und Angelpunkt, dass das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat und auch umgekehrt vorhanden sei. Man müsse aus der Bedrohungslage gemeinsam Optionen ableiten. Jeder und Jede müsse unabhängig von Szenarien seine und ihre Rolle kennen. Dann könne (fast) jede Lage auch durch individuelle Resilienz besser bewältigt werden.

Auch Helena Quis stellte, ähnlich wie Leon Eckert und Martin Schelleis, die Frage nach den Grenzen des Staates und plädierte für eine gesamtgesellschaftliche Definition eines Schutzziels. Der Begriff „Gesamtgesellschaftlich“ dürfe nicht weiterhin eine Worthülse bleiben. Sie wies abschließend darauf hin, dass Verteidigung eben nichts rein Rationales sei und zitierte einen Satz der insbesondere die finnische Herangehensweise passend beschreibt: „Be prepared – not scared!“ Für Quis wäre dies ein Satz, der auch dem deutschen Ansatz guttun könnte.

Generalleutnant a.D. Martin Schelleis

Der Bundesbeauftragte für Krisenresilienz des MHD erinnerte in seinem ersten Wortbeitrag direkt an die Notwendigkeit, dass auch die Bevölkerung Fähigkeiten für die Gesamtverteidigung aufweisen müsse, da es durchaus sein könnte, dass in den ersten Stunden und Tagen niemand komme. Dazu brauche es übrigens keine kriegerische Auseinandersetzung, sondern das wäre auch schon bei komplexen kriminellen Attacken so. Und auch Schelleis betonte, dass wir alle der Staat seien und Beiträge zu leisten hätten. Dabei seien der wehrhafte Staat und die liberale Gesellschaft kein Widerspruch. Vielmehr, und da waren sich alle einig, müsste Jeder und Jede seine Rolle im System kennen.

Der frühere Inspekteur der Streitkräftebasis der Bundeswehr zeichnete sodann eine Linie vom Nordkap über das Baltikum bis zum Schwarzen Meer als besondere Bedrohungslinie für Europa und nannte eine Zahl von 260.000 aktiven Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die sich aus den Verpflichtungen gegenüber der NATO ergäben. Ereignisse entlang dieser Linie, also an der europäischen Peripherie seien für ihn viel wahrscheinlicher, als die große Panzerschlacht. Und mit Russland gebe es einen Gegner, der sich schon heute nicht mehr an Völkerrecht halte.

Er betonte, dass es nicht sein könne, dass es immer noch aktuelle Reformvorhaben in der Politik gebe, bei denen keine Redundanzen oder Planungen für die Krise, oder kriegerische Auseinandersetzung vorgesehen sein, während alle Welt die sicherheitspolitischen Veränderungen hautnah spüren könnten. Als Beispiel nannte er die Gesundheits- und Notfallreformen. Dazu plädierte Schelleis dafür, von dem Begriff der Gesamtverteidigung wegzukommen, weil dies immer dazu führe, dass man das Thema für ein rein militärisches halte. Er bevorzuge vielmehr den Begriff der Nationalen Sicherheit als Oberbegriff und die Schaffung eines Nationalen Sicherheitsrates sei ein guter erster Schritt.

Bewertung

Den Zuschauerinnen und Zuschauern bot sich ein außerordentlich fachkundiges und an der Sache leidenschaftlich arbeitendes Panel. Eine Vielzahl von Erkenntnissen und Denkanstößen konnten mitgenommen werden. Und der All-Gefahren-Ansatz drang aus nahezu allen Wortbeiträgen. Der Livestream kann hier nochmals angeschaut werden: https://www.youtube.com/watch?v=pv3bTCD9jpo&t=6285s

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