Führung in polizeilichen Lebensbedrohlichen Einsatzlagen (LebEL)

Lebensbedrohliche Einsatzlagen (LebEL) treten in der Regel ohne Vorwarnung auf und zeichnen sich durch eine außerordentliche Dynamik sowie erhebliche Risiken für die Einsatzkräfte aus. Hierzu zählen unter anderem Amoklagen sowie terroristische und extremistische Anschläge. Die multiplen Anschläge in Paris (2015), auf das Olympia-Einkaufszentrum in München (2016) und auf den Weihnachtsmarkt in Berlin (2016) sind bekannte Beispiele für solche hochkomplexen Einsatzlagen.

Übung einer Einsatzlage in einem Bahnhof
Übung der Bundespolizei in einem Bahnhof
Foto: Bundespolizei

Insbesondere die Frühphase eines solchen dynamischen Einsatzes stellt die eingesetzten Führungskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Und das bei meist unklarer Informationslage. Wesentlich für den Einsatzerfolg ist daher eine schnelle Informationsgewinnung und der zielgerichtete Kräfteeinsatz, aber auch die Koordination der Schnittstellen zu anderen Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS).

Aber auch wenn diese Einsatzlagen zeitlich schnell beendet sein können (siehe Bericht zum Anschlag von Magdeburg in vorheriger Ausgabe) bleibt sowohl innerhalb der polizeilichen Aufgaben (Schutz und Ermittlungen) als auch in der Zusammenarbeit mit anderen BOS (Rettung und Evakuierung) ein hoher Koordinationsaufwand bestehen.

Vergleich der Führungssysteme

Obwohl nahezu alle BOS eine Dienstvorschrift 100 als Grundlage für die Führung im Einsatz haben, unterscheidet sich die Polizeidienstvorschrift 100 (PDV 100) deutlich von der Feuerwehrwehrdienstvorschrift 100 (FwDV 100) und den anderen DV 100. Dies liegt vor allem an den zugrundeliegenden Aufgaben der polizeilichen bzw. der nicht-polizeilichen BOS (Feuerwehr, Rettungsdienst, THW, Bevölkerungsschutz).

Innerhalb der deutschen Polizei wird die PDV 100 im Kern einheitlich angewandt. Unabhängig davon, ob es sich um eine Polizeibehörde des Bundes oder der Länder handelt. Bei den nicht-polizeilichen BOS orientieren sich die meisten DV 100 an der FwDV 100.

Insbesondere im Bereich der Feuerwehr sind die Führungsstrukturen klar geregelt und auch die Eingliederung nachrückender Kräfte erfolgt meist in festen Strukturen. So verfügen anrückende Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr meist über spezifische Fähigkeiten (z. B. Drehleiter), die einen Einsatz in anderen Einsatzabschnitten (z. B. Wasserversorgung) selten erlaubt. Um im Einsatzraum eine klare Struktur zu erhalten, hat sich eine Kennzeichnung der Führungskräfte der Feuerwehr durch Funktionswesten etabliert.

Verständlicherweise unterliegt die PDV 100 in weiten Teilen der Geheimhaltung, da der polizeiliche Einsatz häufig im Zusammenhang mit Straftaten steht, an deren Aufklärung und Verhinderung die Täter selten mitwirken. Eine hohe Transparenz polizeilicher Systeme könnte daher die polizeiliche Gefahrenabwehr und die Strafverfolgung erheblich erschweren. Dies führt auch dazu, dass die Polizei in einigen Einsatzlagen die eigene Sichtbarkeit und Präsenz bewusst vermeidet, um im eigenen Handeln eine hohe Flexibilität beizubehalten und sich wortwörtlich nicht angreifbar zu machen.

Daher können – je nach Einsatzanlass – die Führungskräfte der Polizei sichtbar gekennzeichnet sein, oder auf eine solche Kennzeichnung bewusst verzichtet werden. Die Einsatzfahrzeuge der Polizei haben im Vergleich zu den Fahrzeugen der Feuerwehr oder des Rettungsdienstes seltener eine spezifische Funktion und dienen in erster Linie der Fortbewegung. Die abgesessenen Einsatzkräfte der Polizei führen das für den Einsatz benötigte Material (z. B. Funk, Schutzausstattung, Zwangsmittel) in der Regel immer mit sich. Der Einsatz bei LebEL erfolgt daher unabhängig von Fahrzeugen und standardisierten Alarmierungsketten (vgl. Löschzug bei Wohnungsbrand).

Diese Unterschiede können die Abläufe an der Schnittsstelle zwischen der polizeilichen und der nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr beeinflussen.

Führungsformen in der ersten Einsatzphase: Führung vor Ort vs. rückwärtige Führung

Wie bei allen größeren Einsatzlagen gibt es unterschiedliche Möglichkeiten der Gliederung der Einsatzführung. Hierzu gehört nicht nur die Frage, in welcher Größe die Führungseinheit gegliedert wird (Führungstrupp, Führungsgruppe, Führungsstab), sondern auch, ob sich die Führungseinheit vor Ort oder im rückwärtigen Einsatzraum befindet.

Eine Führung vor Ort bietet durch den Blick in die Lage und den direkten Kontakt zu den Einsatzkräften den Vorteil schnellerer Lagekenntnisse und Informationsflüsse. So können durch die persönliche Anwesenheit schnell Entscheidungen getroffen und umgesetzt werden. Jedoch birgt diese Führungsform auch Risiken für die Einsatzleitung selbst, insbesondere bei gewaltbereiten und bewaffneten Tätern oder bei möglichen gezielten Folgeanschlägen auf Einsatzkräfte (sog. „Second Hit“).

Sobald der Einsatzraum durch einen dynamischen Verlauf nicht klar abgrenzbar oder bei einer Flächenlage – beispielsweise bei Gipfeltreffen oder Unwetterlagen – sehr groß ist, bietet die Führung aus dem rückwärtigen Raum erhebliche Vorteile. Hierbei agiert die Führung aus sicherer Distanz, typischerweise aus einer Leitstelle oder einem Lagezentrum.

Dies bietet den Vorteil einer besseren Ressourcenübersicht, die Möglichkeit einer umfassenden Lagedarstellung und -analyse, sowie einen höheren Kräfteansatz in der Führungsunterstützung. Jedoch birgt die Distanz zum Einsatzraum die Gefahr möglicher Informationsverluste über die Kommunikationswege und der zeitlichen Verzögerung zwischen Lageänderung und Entscheidungsfindung. Eingespielte Stäbe und Führungsgruppen sind hierbei elementar, um diese Umstände zu minimieren.

Eine weitere Möglichkeit ist ein hybrides Modell, bei dem ein operativer Leiter vor Ort durch ein rückwärtiges Führungselement unterstützt wird oder der Einsatzleiter/Polizeiführer durch eine unmittelbar unterstellte taktische Führungskraft vor Ort direkt in den Einsatzraum agieren kann.

Übung der Bundespolizei
Übung der Bundespolizei
Foto: Bundespolizei

Taktische Führung vor Ort

In größeren Einsatzlagen kann eine taktische Führung vor Ort wesentliche Führungsaufgaben direkt im Einsatzraum übernehmen. Diese kann dabei als „Einsatzleiter vor Ort“ gekennzeichnet sein und auch über eine eigene Führungsunterstützung (z. B. eine mobile Befehlsstelle) verfügen. Diese taktische Führung bewertet kontinuierlich die Lage vor Ort und trifft schnelle unaufschiebbare operative Entscheidungen und koordiniert unmittelbare polizeiliche Maßnahmen. Zudem steht sie in direktem Kontakt zur eigentlichen Polizeiführung.

Durch ihre Präsenz im Einsatzraum kann sie eine entscheidende Schnittstelle zwischen den handelnden Einsatzkräften und den rückwärtigen Führungsstrukturen (Stab) bilden. Dies beeinflusst maßgeblich die Effektivität der Einsatzbewältigung und die Sicherheit eigener und fremder Einsatzkräfte. Die Einrichtung einer taktischen Führung vor Ort ist insbesondere in der Frühphase des Einsatzes von Relevanz. Diese Person kann auch der Ansprechpartner für nachrückende Einsatzkräfte und nicht-polizeiliche BOS wie Feuerwehr und Rettungsdienste darstellen.

Schnittstelle zwischen Polizei und anderen BOS am Einsatzort

In der Frühphase einer lebensbedrohlichen Einsatzlage ist die Schnittstelle zwischen polizeilicher und nicht-polizeilicher Gefahrenabwehr besonders herausfordernd. Der Einsatzraum wird üblicherweise in eine rote („heiße“), eine gelbe („warme“) und eine grüne („kalte“) Zone eingeteilt, welche einen unterschiedlich hohen Gefährdungsgrad beschreibt. Die Führungshoheit obliegt in erster Linie der (Landes-)Polizei, da sich die Ursache des Einsatzes (z. B. Terroranschlag) in der Zuständigkeit der Polizei befindet.

Die Polizei legt die Gefahrenbereiche fest und gibt diese den Rettungskräften frei, sobald eine sichere Rettung und Versorgung der verletzen Personen gewährleistet werden kann. Solange dies nicht erfolgt ist, sind die Rettungskräfte darauf angewiesen sich in den von der Polizei zugesprochenen Bereitstellungsräumen bereit zu halten oder an durch die Polizei definierten Übergabepunkten Patienten zu übernehmen und Verletztensammelstellen zu betreiben.

Es gilt das oberste Gebot der Eigensicherung, auch wenn das Warten auf eine Freigabe durch die Polizei zu einer Verzögerung der Versorgung verletzter Personen – im Vergleich zu nicht-polizeilichen Gefahrenlagen – führen kann. Wesentlich ist daher eine enge Abstimmung durch direkte Kommunikation und ein schneller Informationsaustausch zwischen den Einsatzleitungen der Polizei und der Feuerwehr, sowie des Rettungsdienstes.

Erfolgsfaktoren in der Führungs- und Schnittstellenarbeit

Auch wenn unterschiedliche Organisationskulturen in polizeilichen und nicht-polizeilichen BOS vorherrschen, steht das gemeinsame Ziel der erfolgreichen Einsatzbewältigung im Fokus. Während in vielen niedrigschwelligen Einsätzen die Zusammenarbeit von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst von einem parallelen Abarbeiten der eigenen Aufgaben geprägt ist, muss bei komplexeren Einsatzlagen eine enge Abstimmung untereinander erfolgen, um den Einsatz erfolgreich durchführen zu können.

Der Austausch von Verbindungspersonen und Fachberatern ist hierbei ein bewährtes Verfahren. Ebenso ist die Durchführung von Übungen auf allen Ebenen ein probater Weg. Insbesondere Stabsrahmenübungen führen zu einer höheren Leistungsfähigkeit von Führungsorganen.

Der Einsatzerfolg hängt bei LebEL also maßgeblich von der gemeinsamen Lagebewältigung ab. Hierzu benötigt es klare Strukturen in der eigenen Einsatzführung, einen direkten Kontakt und ein Verständnis der anderen am Einsatz beteiligten BOS. Im besten Fall findet die erste Zusammenarbeit bereits vor einem ersten gemeinsamen Einsatz statt. Hierfür eignen sich gegenseitige Hospitationen im Regeldienst oder während planbarer Einsätze (z. B. Großveranstaltungen).

Der Grat zwischen pragmatischer Transparenz über das polizeiliche Handeln und taktisch notwendiger Diskretion über die Einsatzverfahren ist schmal. Durch einen regelmäßigen Austausch kann ein gegenseitiges Verständnis für die Arbeitsweise und die Bedürfnisse der jeweils anderen BOS entstehen. Wichtig ist der Austausch derjenigen, die im Einsatzfall auch zusammenarbeiten müssen. So können auch die zahlreichen lokalen Besonderheiten der verschiedenen Organisationen Berücksichtigung finden.

Autor: Samuel Zednicek (Bundespolizei)

Erstmals erschienen in: Crisis Prevention 2/2025

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