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Operationsplan Deutschland – Eine Einführung

Oberst i. G. Armin Schaus zum Operationsplan Deutschland: Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine hat die Friedensordnung in Europa nachhaltig und grundlegend erschüttert. Das sicherheitspolitische Umfeld zwingt Deutschland zu einer Neuausrichtung seiner Verteidigungs- und Bündnisfähigkeiten. In einem neuen Zeitalter wachsender Multipolarität steht die internationale Ordnung vor einer Bewährungsprobe. Krisen in Nahost, die Spannungen im Indopazifik und der zunehmende Einfluss autoritärer Regimes in Afrika stellen nicht nur sicherheitspolitische Herausforderungen dar, sondern implizieren komplexe Szenarien, die weit über einen bewaffneten Konflikt hinaus ihre Wirkung auf Deutschland entfalten können. Terrorismus, Extremismus, organisierte Kriminalität, Cyberangriffe und gezielte Angriffe auf unsere kritische Infrastruktur sind Risiken für die Sicherheit und die Stabilität unseres Landes.

Operationsplan Deutschland: Verlegung von Material der Bundeswehr auf der Straße
Verlegung von Material der Bundeswehr auf der Straße
Foto: Marco Dorow / Bundeswehr

Der Begriff der Sicherheit ist umfassend. Der Schutz vor Krieg und Gewalt reicht bei Weitem nicht mehr aus, um den Erfordernissen dieses Begriffs gerecht zu werden. Der erweiterte Sicherheitsbegriff bedeutet, unser Leben im Rahmen unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung gestalten zu können. Dies beinhaltet auch die Sicherung unserer Lebensgrundlagen. Voraussetzung hierfür ist das Zusammenwirken und Ineinandergreifen aller relevanten Akteure, Instrumente und Mittel. Deutschland trägt in Europa und international besondere Verantwortung für die Stabilität der Sicherheit und den Umgang mit unseren Lebensgrundlagen. Die Sicherung unseres Friedens und unserer Lebensgrundlagen beruht auf einem komplexen Netz an Interdependenzen. Zunehmend versuchen unterschiedliche Akteure mit mannigfaltigen Mitteln unsere innere Ordnung und unsere wirtschaftliche Prosperität zu beeinflussen, wenn nicht gar zu stören.

Die Bundeswehr begegnet der veränderten globalen Sicherheitsarchitektur mit der Anpassung der Strukturen. Das Bundesministerium der Verteidigung hat die Strukturanpassung bereits abgeschlossen. Parallel wurde das Territoriale Führungskommando der Bundeswehr aufgestellt, um alle Aufgaben im Inland zu zentrieren – ein wesentlicher Schritt in Richtung einer nationalen Führungsfähigkeit. Mit den bereits entschiedenen Anpassungen, unter anderem die Zusammenführung des Territorialen Führungskommandos mit dem für Auslandseinsätze der Bundeswehr zuständigen Einsatzführungskommando der Bundeswehr zum Operativen Führungskommando der Bundeswehr wird ein weiterer wesentlicher Schritt zur Führungsfähigkeit im Rahmen von Landes- und Bündnisverteidigung geschaffen. Der Aufbau des Heimatschutzes unterstreicht die Bedeutung der nationalen territorialen Verteidigung im Inland. Die zivil-militärische Zusammenarbeit ist dabei das Scharnier zur zivilen Verteidigung.

In direkter Abhängigkeit zu der Betrachtung etwaiger Bedrohungen durch kriegerische Auseinandersetzungen und vor dem Hintergrund der Komplexität weiterer Bedrohungsszenarien bedarf es einer schonungslosen Überprüfung der zivilen Wehrhaftigkeit. Der Umgang mit Krisen, Katastrophen und Krieg ist zu lange stiefmütterlich behandelt worden. In einem Land, in dem man sich lange von Freunden umgeben wähnte, ist auch heute noch in Teilen der Gesellschaft und der Politik die Idee der allumfassenden Wehrhaftigkeit nicht sexy. Nicht zuletzt, weil über mehrere Jahrzehnte bestehende Konzepte und erprobte Verfahren, wie etwa zu Zeiten des Kalten Krieges, schlicht und ergreifend vernachlässigt wurden. Insbesondere aber auch, weil Planung und Durchführung einer allumfassenden Verteidigungsfähigkeit finanzielle Ressourcen binden und einen nötigen Mindset voraussetzen. Eine umfassende Kehrtwende dieser Perzeptionen scheint selbst im Angesicht des Angriffskrieges gegen die Ukraine einige Teile der deutschen Bevölkerung und Politik noch nicht erreicht zu haben. Selbst wenn die Bundesrepublik im Vergleich zu Szenarien des Kalten Krieges aktuell kein direkter Frontstaat ist, so kommt unserem Land im Falle einer weiteren Expansion der russischen Aggression eine bedeutende Rolle zu. In allen zukünftig denkbaren Szenarien wird Deutschland aufgrund seiner geographischen Lage als Dreh- und Angelpunkt aller militärischen Operationen dienen müssen. Neben der notwendigen Unterstützung aller alliierten Kräfte im Aufmarsch wird Deutschland zudem selbst als Truppensteller einen beachtlichen Teil seiner Soldatinnen und Soldaten entsenden müssen. Es bedarf an dieser Stelle keiner besonderen militärischen Kenntnisse, um schnell zu erkennen, dass die militärische Verteidigung des deutschen Territoriums nicht durch die Bundeswehr allein gestemmt werden kann. Die Bedeutung einer allumfassenden zivilen Verteidigung – im Sinne einer Gesamtverteidigung – ist somit integraler Bestandteil einer gesamtstaatlichen Sicherheitsvorsorge. Doch wie ist es um die zivile Verteidigung bestellt?

Seit den Terroranschlägen im Jahre 2001 einigten sich Bund und Länder in der ständigen Konferenz der Innenminister und Senatoren auf eine „Neue Strategie zum Schutz der Bevölkerung“. Die sogenannte Konzeption Zivile Verteidigung (KZV) aus dem Jahre 2016 ist das Basisdokument zur ressortabgestimmten Aufgabenerfüllung im Rahmen einer zivilen Verteidigung und auch der Notfallvorsorge. Die darin vorgenommenen Ableitungen bilden die Basis für die Planungen aller Bundesressorts. Jedoch legt sie auch, aufgrund der fehlenden Weiterentwicklung, offen, welche derzeitig aktuellen Herausforderungen einer dringenden Fokussierung bedürfen. Die KZV ist bis dato auch der zivile Gegenpart zur Konzeption der Bundeswehr (KdB).

Wesentlich ist, dass die KZV vier Säulen der zivilen Verteidigung beschreibt, deren vierte Säule die „Unterstützung der Streitkräfte“ zur Erfüllung der Aufgaben der militärischen Verteidigung bereits in Deutschland bezeichnet. Die Streitkräfte werden dabei nicht auf die Bundeswehr reduziert, sondern auch auf alliierte Streitkräfte, für die Deutschland die sogenannte „Host Nation“ ist und bei der sie um Unterstützung anfragen können. Damit sich die nicht-militärische Seite auf diese Unterstützungen vorbereiten kann, ist eine Bedarfsanzeige seitens der Streitkräfte notwendig. Zwar wurden in der Vergangenheit eine Vielzahl von Unterstützungsleistungen für alliierte Streitkräfte im Rahmen des sogenannten „Host Nation Support“ geleistet, dies waren allerdings in der Regel Einzelmaßnahmen zum Beispiel für nationale Übungen in Deutschland. Eine Ableitung aus einem Gesamtverteidigungsplan des Bündnisses lag nicht vor.

Verlegung von Material während einer Großübung am Hafen Rostock
Verlegung von Material während einer Großübung am Hafen Rostock
Foto: Susanne Hähnel / Bundeswehr

Bedingt durch den aktuellen sicherheitspolitischen Rahmen transatlantischer Partnerschaften und bilateraler Verträge unterliegt die deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik dem Ziel, nicht nur die eigene territoriale Integrität zu schützen, sondern auch die Unabhängigkeit der Bündnispartner durch Abschreckung und die Abwehr von Angriffen sicherzustellen. Nach Artikel 5 des NATO-Vertrages kann ein Bündnisfall festgestellt werden, wenn ein Mitglied angegriffen wird. Jedoch bestimmen die Mitgliedsstaaten selbst, inwiefern der Beistand auszugestalten ist. Die Ausgestaltung dieses Beistands ist Gegenstand des NATO Defence Planning Process (NDPP). Mit der Beteiligung Deutschlands an dem Bündnis gehen politische Selbstverpflichtungen einher. Strategische und konzeptionelle Vorgaben der NATO haben folglich eine direkte Auswirkung auf das nationale Fähigkeitsprofil. Darüber hinaus beteiligt sich Deutschland auch an der Civil Emergency Planning (CEP), welche ebenfalls der Doktrin der NATO unterliegt.

Es besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen militärischer und ziviler Verteidigung. Eine Bedrohungseinschätzung kann folgerichtig dem veränderten sicherheitspolitischen Umfeld nur dann Rechnung tragen, wenn alle Determinanten und Akteure unserer ressourcenabhängigen und vielfältigen modernen Gesellschaft bei der Verteidigungsplanung betrachtet werden. Gleichwohl müssen auch Verantwortungen und Zuständigkeiten unmissverständlich artikuliert werden.

In Anbetracht der komplexen Bedrohungsszenarien eine scheinbar unlösbare Mammutaufgabe. Doch die Verantwortung zur Abwendung eines Angriffs ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei der alle Ressourcen genutzt werden müssen. Es ist davon auszugehen, dass die Wechselwirkung von innerer und äußerer Sicherheit zukünftig zunehmen wird. Der „klassische“ Ansatz einer Bedrohung durch den Einsatz konventioneller Streitkräfte stellt dabei nur einen Teil des möglichen Bedrohungsszenarios dar. Massenvernichtungswaffen, Cyber-Angriffe, die Störung oder der Ausfall kritischer Infrastruktur, offene und verdeckte Angriffe, die Mischung konventioneller und militärischer Wirkmittel und die Fokussierung auf verwundbare Strukturen implizieren nicht zwangsläufig das Vorliegen eines Bündnisfalls und können dennoch verheerende Auswirkungen entfalten. Zudem treten vermutlich in Zukunft einzelne Bedrohungen nicht isoliert auf, sondern in allerlei Mischformen (hybride Bedrohungen). Dies hat zur Folge, dass Vorwarnzeiten entfallen können oder eine anfängliche Zuordnung der Bedrohung (einhergehend mit der Zuständigkeit der Bekämpfung) die Unübersichtlichkeit potenzieller Schadensszenarien steigert. Dies gilt auch für die Auswirkungen auf alle beteiligten Akteure.

Die Aufgaben der zivilen Verteidigung sind folglich unabdingbarer Bestandteil einer Gesamtverteidigung, welche wiederrum strategischen Zielvorgaben folgt. Eine stetige Weiterentwicklung kann nur vollzogen werden, wenn alle getroffenen Maßnahmen einer kontinuierlichen Überprüfung unterzogen werden. Art und Intensität der Maßnahmen müssen sich an dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit orientieren; aber auch flexibel genug sein, um allen Bedrohungsszenarien begegnen zu können. Im Prinzip sollten die Planungen für eine zivile und militärische Verteidigung auf den Vorbereitungen für eine friedensmäßige Krisenbewältigung aufbauen. Ausreichende Redundanzen sollten geschaffen werden, um allen Szenarien gerecht werden zu können.

Mit der Indossierung der NATO-Verteidigungsplanung beim Gipfel von Vilnius 2023 sind die Verteidigungspläne, die sich von Finnland bis zur Türkei entlang der Ostflanke des Bündnisgebietes erstrecken, gültig und Grundlage für weitere Planungen. Die nationalen Zusagen an Kräften zur Beteiligung an der NATO-Verteidigungsplanung ist der Rahmen für die Folgeplanungen. Auch Deutschland hat sich mit Kräften der Bundeswehr in die NATO-Verteidigungsplanung eingemeldet.

Da die Masse der alliierten Kräfte nicht dauerhaft an der Ostflanke stationiert werden und nur im Bedarfsfall, zum Beispiel bei Bedrohungen des Bündnisgebietes, an die Ostflanke verlegt werden, kommt der Phase der Verlegung eine besondere Bedeutung als Voraussetzung einer wirkungsvollen Verteidigung zu. Deutschland hat hierbei aufgrund der geostrategischen Lage zwischen Ostsee und Alpen eine besondere Bedeutung für den nordost-europäischen Raum.

Wesentlich ist, dass die Planungen des Kalten Krieges keine Blaupause für den Operationsplan Deutschland sein konnten. Alleine die zentrale und von Bündnispartnern umgebene Lage statt der früheren Frontstaat-Situation führen zu wesentlich differenzierteren Ableitungen. Dazu kommen die Digitalisierung sowie die Privatisierung von ehemals öffentlichen Leistungen. Ein „so wie früher“ ist damit ausgeschlossen und hat komplett neue Überlegungen erfordert.

Schutz von verteidigungswichtiger Infrastruktur durch Heimatschützer
Schutz von verteidigungswichtiger Infrastruktur durch Heimatschützer
Foto: Marco Dorow / Bundeswehr

Aufgrund der Bindung der Kräfte der Bundeswehr in der Ostflanke, kann bei der Verlegung alliierter Streitkräfte kaum auf militärische Fähigkeiten zurückgegriffen werden. Daher ist eine frühzeitige Abstimmung mit möglichen Leistungserbringern, zum Beispiel Behörden, Blaulicht-/Hilfsorganisationen oder zivil-gewerbliche Dienstleiter, notwendig. Genau hier setzt der Operationsplan Deutschland an, um diese Unterstützungsbedarfe festzustellen. Die Arbeiten an der ersten Iteration konnten im Frühjahr 2024, nach rund einem Jahr Bearbeitung, abgeschlossen und dem Bundesministerium der Verteidigung zur Billigung vorgelegt werden. Aufgrund noch fehlender Detail-Verlegeplanungen der alliierten Streitkräfte waren Annahmen zu treffen, die in der aktuell zweiten Iterationsphase der Bearbeitung des Operationsplans durch reale Planungsparameter ersetzt werden können. Damit kann im Sinne der vierten Säule der KZV ein Bedarf an Unterstützungsleistungen angezeigt werden.

Darüber hinaus zielt der Operationsplan Deutschland auch auf die nationale territoriale Verteidigung ab. So werden auch bundeswehrinterne Maßnahmen erarbeitet, die im Falle einer sich verschärfenden Sicherheitslage zum Tragen kommen können.

Mit Abschluss der ersten Iteration des Operationsplans folgen die weiteren Arbeiten zur Erfüllung des Bedarfs. Hierbei wird deutlich, dass umfangreiche Abstimmungen mit der zivilen Seite (Behörden und Wirtschaft) notwendig sind. Dies bedeutet in vielen Köpfen eine Zeitenwende, da ein Krieg in Deutschland und Europa unvorstellbar erscheint. Zu begrüßen ist, dass sich alle Beteiligten offen für eine sachgerechte und zielgerichtete Diskussion zeigen und das Thema mittlerweile in der Breite der Behörden angekommen ist – auch wenn der Weg bis zur finalen Planung noch weit erscheint.

Festzustellen ist, dass es sich um eine gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt. Es müssen alle Beteiligten der gesamtstaatlichen Sicherheitsvorsorge einbezogen werden. Aktive, offene und transparente Kommunikation kann Fake News verhindern. Zivile und militärische Verteidigung bedingen einander und müssen gleichermaßen ausgestaltet werden. Letztendlich geht es um das Schutzversprechen des Staates gegenüber seinen Bürgerinnen und Bürgern.

Lassen Sie es uns gemeinsam anpacken!

Autor: Oberst i.G. Armin Schaus, Abteilungsleiter J9 im Operativen Führungskommando der Bundeswehr.

Erstmals erschienen in: Crisis Prevention 1/2025

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