Der Chefredakteur des Fachmagazins Crisis Prevention, André Luhmer, war zu Besuch bei Bayerns Innenminister Joachim Herrmann. Im Interview sprechen sie über das bayerische Vorgehen in Bezug auf Amok- und Terrorlagen, seine Einschätzung zur allgemeinen Sicherheitsfrage und die Zukunft von Innerer Sicherheit und Bevölkerungsschutz.
Wie hat sich die Polizei in Bayern auf Amok- und terroristische Einsatzlagen organisatorisch, taktisch vorbereitet und wie ist Ihre Bereitschaftspolizei da eingebunden?
Wir haben insgesamt im Hinblick auf Amoklagen oder terroristische Einsatzlagen die Ausbildung und die Ausrüstung der Bayerischen Polizei in den letzten zehn Jahren deutlich verbessert, aufgebaut und ausgebaut. Denn wir sehen ja leider weltweit, dass solche Einsatzlagen zugenommen haben und dass wir trotz des hohen Sicherheitsniveaus in Bayern und in Deutschland insgesamt leider auch in unserem Land davor nicht gefeit sind.
Wir müssen uns bei lebensbedrohlichen Einsatzlagen ganz individuellen Situationen stellen. Einzeltäter, die solche schlimmen Taten begehen, haben unterschiedliche Motivlagen oder psychische Probleme.
De facto klärt sich oft erst im Lauf der Einsatzlage oder danach, um welchen Fall es sich konkret handelt. Wenn jemand zum Beispiel mit Schusswaffen um sich schießt, ist es nicht immer leicht, im ersten Moment zu erkennen, ob es sich etwa um einen Amokläufer, einen islamistischen Extremisten oder eine andere Art von Täter, ggf. mit psychischer Auffälligkeit, handelt. Es gehört natürlich zur Ausbildung der Polizei dazu, dass man zunächst einmal offen an eine solche Situation herangeht.
Also Sie sagen, das kann man zunächst in der Lage nicht immer direkt erkennen, welches Motiv dahintersteckt. Jetzt zeichnet sich aber in den letzten Monaten ab, dass häufig ein islamistischer Hintergrund zu erkennen ist. Wie bereiten sich Ihre Behörden auf dieses Phänomen vor? Was sehen Sie da als Notwendigkeit?
Sobald eine solche lebensbedrohliche Einsatzlage erkennbar ist, muss der Täter so schnell wie möglich gestoppt werden, um Menschenleben zu schützen. Das ist deutlich zu unterscheiden von einer Geiselnahme oder ähnlichen Situationen.
Hier haben wir in ganz Deutschland spätestens seit dem Amoklauf an einem Erfurter Gymnasium im Jahr 2002 eine klare Weisungslage an die Polizei. Selbst wenn das SEK alarmiert wird, erwarten wir trotzdem schon von jedem Polizeibeamten vor Ort sofort einzuschreiten, um eben weitere Lebensgefahr zu reduzieren.
Also das zügige Einschreiten, sagen Sie, ist dann besonders wichtig und dann eben nicht wie bei der Geiselnahme, dass sich die Lage erstmal beruhigt. Wie ist da der Streifendienst aufgestellt, trainieren die das?
Das wird zum einen im Training zum polizeilichen Einsatzverhalten durch alle Kollegen verpflichtend trainiert. Und wir haben vor allen Dingen auch die Schutzausstattung und Bewaffnung für solche Situationen deutlich verbessert. Wir erwarten von jeder Streifenbesatzung in einer solchen Situation sofort einzuschreiten.
Deswegen ist jetzt in jedem Streifenwagen in Bayern die ballistische Schutzausstattung für den regulären Streifendienst grundsätzlich immer mit dabei. Ein spezieller Helm, der bestmögliche Schusssicherheit gewährt und ein entsprechender Überwurf, der gegen normale Schusswaffen- und Gewehrmunition einen Schutz bietet.
Das hat uns in den letzten Jahren viel Geld gekostet, aber es ist richtig, weil ich von den Kollegen erwarte und ihnen das auch zumuten muss, gegen einen mit Schusswaffen bewaffneten Täter vorzugehen. Da muss ich ihnen die bestmögliche Schutzausstattung mitgeben. Die Kollegen müssen dann sofort handeln und müssen daher auch gedanklich darauf vorbereitet sein. Beim Anschlag auf das israelische Generalkonsulat in München am 5. September 2024 hat das hervorragend geklappt.
Gibt es da auch eine psychologische Betreuung oder Möglichkeiten der Begleitung nach solchen Tagen?
Wir haben natürlich eine entsprechende Ausbildung, die unsere Polizisten auf solche extrem belastenden Situationen einstellt. Wenn tatsächlich etwas passiert ist, bieten wir standardmäßig nach einem bayernweiten Konzept zur psychosozialen Notfallversorgung von Einsatzkräften eine entsprechende psychosoziale Betreuung an. Das gilt für unmittelbar eingesetzte Polizeibeamte, aber auch für Rettungskräfte. Wir haben dafür Fachkräfte in allen Präsidien eingestellt.
Der eine oder andere steckt das leichter weg, andere haben noch Tage, Wochen oder noch wesentlich länger damit zu kämpfen, wenn sie unmittelbar den Tod von Menschen miterleben mussten. Das kann an die Psyche gehen, manche sind über lange Zeit schwer traumatisiert. Hier ist eine gute Betreuung sehr wichtig.
Ein Themenwechsel in die allgemeine Sicherheitslage. Wie sehen Sie aktuell die Sicherheitslage und wie stellen sich die Behörden in ihrem Zuständigkeitsbereich darauf ein? Brauchen Sie andere zusätzliche rechtliche Rahmenbedingungen, die Sie beim Bund in der Verantwortung sehen?
Wir haben in den letzten Jahren immer wieder islamistische oder auch rechtsextremistische Anschläge erlebt. Wir erinnern uns an den Anschlag auf die Synagoge in Halle, in Hanau, die Attentate in Solingen, in München oder Mannheim sowie die Amokfahrt in Magdeburg und die schrecklichen Geschehnisse in Aschaffenburg. Wir müssen grundsätzlich an den unterschiedlichsten Orten leider immer wieder mit Anschlägen und Gewalttaten von Tätern mit unterschiedlichster Motivation rechnen.
Das ändert aber trotzdem nichts daran, dass wir vergleichsweise, wenn man das vor allen Dingen europaweit, weltweit vergleicht, doch in einem der sichersten Länder der Welt leben. In den USA gibt es jedes Jahr deutlich mehr Opfer von Schießereien. Dort ist das Risiko, auch in Relation zur Bevölkerung, ein Zigfaches von dem, was wir hier in Deutschland haben und auch speziell bei uns in Bayern.
Das hilft im Einzelfall nicht, aber man muss sich trotzdem dessen bewusst sein, dass übrigens auch eine ganze Reihe von Anschlägen in den letzten Jahren rechtzeitig verhindert worden sind, weil Nachrichtendienste rechtzeitig auf Extremisten aufmerksam wurden.
Das zeigt schon, wie wichtig die Aufklärung im Vorfeld ist, und dass die Polizei die entsprechenden Befugnisse dafür hat. Wir müssen den Datenschutz dagegen abwägen, wo es wirklich um Leib und Leben von Menschen geht. Zum Beispiel bei der Speicherung von IP-Adressen. Und wir müssen wissen, wer da im Internet entsprechend unterwegs ist.
Wir haben in Bayern das sogenannte VeRA-System eingeführt, welches über eine entsprechende Technologie verfügt, in sehr kurzer Zeit Informationen aus verschiedenen, polizeieigenen Datenbanken effizient zu verknüpfen und auszuwerten. Aktuell setzen wir die Software nur zur Abwehr von Gefahren ein. Wir haben aber bereits von der alten Bundesregierung gefordert, in der Strafprozessordnung die entsprechenden Rechtsgrundlagen für den repressiven Einsatz zu schaffen.
Jetzt ist es so, dass die Bundeswehr den Operationsplan Deutschland voranbringt und da auf eine erweiterte zivilmilitärische Zusammenarbeit setzt. Wie sehen Sie Ihren eigenen Zivil- und Katastrophenschutz aufgestellt und den im Bund? Und brauchen Sie da noch was? Was wären da möglicherweise auch noch Verbesserungspotenziale?
Seit nunmehr leider schon drei Jahren hält der schreckliche Krieg in der Ukraine an. Wir müssen uns nicht nur deshalb mit dem Zivil- und Katastrophenschutz stärker beschäftigen. Was Naturkatastrophen anbetrifft, erinnern wir uns an das schreckliche Unglück im Ahrtal, was jetzt im Sommer schon wieder vier Jahre her sein wird.
Und wir haben in den letzten Monaten die Bilder einerseits des schrecklichen Hochwassers in Valencia in Spanien erlebt, auf der anderen Seite die schrecklichen Brände in Kalifornien und Los Angeles. Das sollte uns immer bewusst sein, auch wenn das zum Teil in anderen Ländern stattgefunden hat. Im Prinzip kann sich das morgen in der einen oder anderen Form in unserem Land ereignen. Wir müssen uns also sowohl für Naturkatastrophen, wie für technische Katastrophen, wie für kriegerische Ereignisse besser aufstellen.
Die Innenministerkonferenz hat schon vor drei Jahren klar gefordert, dass wir parallel zu der Sonderausstattung der Bundeswehr und den entsprechenden 100 Milliarden, die für die Bundeswehr bewilligt worden sind, wenigstens 10 Milliarden, also ein Zehntel davon, für den Zivil- und Katastrophenschutz der Länder benötigen. Das ist eine einstimmige Position der Innenminister gewesen. Das ist inzwischen auch vom Bundesrat klar beschlossen worden.
Nur leider hat die ehemalige Ampel-Regierung dafür überhaupt nichts bewerkstelligt, sondern ganz im Gegenteil die Mittel für das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und die Mittel für das Technische Hilfswerk in den letzten zwei Jahren gekürzt, was wirklich völlig widersinnig ist angesichts der allgemeinen Analyse, da das Risiko solcher Probleme eher weiterwachsen wird.
Hier erwarte ich also von der neuen Bundesregierung, dass sie sich klar dazu bekennt, dass wir für den Zivil- und Katastrophenschutz mehr Geld brauchen und dass wir hier ganz gezielt in enger Absprache von Bund und Ländern die Ausstattung wesentlich verbessern.
Wie soll zukünftig die Polizei aus Ihrer Sicht aufgestellt sein, um den Bedrohungen zu begegnen, aber auch der Katastrophenschutz und was sind abschließend Ihre Forderungen an die neue Legislaturperiode im Bund?
Wir brauchen zunächst mal genügend Personal bei der Polizei. Hier haben wir in Bayern in den letzten 15 Jahren mit mehr als 8.000 zusätzlichen Planstellen schon ein deutliches Zeichen gesetzt. Das war leider in manch anderen Bundesländern bei Weitem nicht so. Ich glaube, dass wir auch bei der Bundespolizei mehr Personal brauchen.
Insbesondere die intensiveren Grenzkontrollen werden die Bundespolizei stärker belasten. Gleichzeitig stellen wir auch fest: Die Sicherheitslage an manchen Bahnhöfen ist nicht optimal. Die Bundespolizei ist ja für die Deutsche Bahn und die Bahnhöfe zuständig. Da müssten von der Bundespolizei zusätzliche Akzente gesetzt werden. Auch hier habe ich klare Erwartungen an die neue Bundesregierung.
Es müssen aber vor allen Dingen die Rechtsgrundlagen geschaffen werden, dass ein konsequenter, guter Informationsaustausch stattfindet. Die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder müssen Informationen effektiver austauschen können. Dazu gehört auch der Verfassungsschutz, der Informationen an die Polizei weitergeben können muss. Hier brauchen wir klare politische Leitentscheidungen.
Ich glaube, die Bevölkerung kann nicht verstehen, wenn irgendwo ein schrecklicher Anschlag nur deshalb stattfindet, weil eine deutsche Sicherheitsbehörde einer anderen nicht gesagt hat, was sie schon weiß. Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass die neue Bundesregierung hier eine klare Linie entwickelt.
Ja, das ist nachvollziehbar. Also zusammenfassend kann man sagen, wir brauchen eine Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen zum Informationsaustausch zwischen den Ländern, dem Bund, Polizei, Verfassungsschutz. Wir brauchen mehr Geld für den Bevölkerungsschutz. Sehen Sie das BBK in der Koordinationsverantwortung?
Das Entscheidende ist auf jeden Fall – und das ist ja eine Erkenntnis aus der Katastrophe im Ahrtal gewesen – es müssen frühzeitig alle verfügbaren Informationen den Ländern, über die Länder dann auch den Kommunen zur Verfügung gestellt werden.
Wir müssen die Möglichkeit haben – da sind ja die technischen Möglichkeiten in den letzten Jahren schon verbessert worden – ganz gezielt die Bevölkerung zu warnen.Das ginge beispielsweise mit den Warn-Apps, mit Push-Nachrichten in bestimmten Regionen Alarm auszulösen und die Bevölkerung zu informieren. Wir haben hier schon Fortschritte zu verzeichnen.
Wir brauchen aber trotzdem auch wieder einen flächendeckenden Aufbau des Sirenennetzes. Nachts um die schlafen die meisten Leute und schauen nicht auf ihr Handy und sind auch nicht über andere Medien informiert.
An all diesen Dingen muss jetzt zügig gearbeitet werden und da soll auch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe seine entsprechenden Aufgaben wahrnehmen können. Wir haben da eine gute Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern.
Herzlichen Dank für Ihre Zeit und das aufschlussreiche Interview.
Ja, Ihnen auch vielen Dank. Alles Gute.
Das Interview führte André Luhmer, Leitender Redakteur der Crisis Prevention.
Erstmals erschienen in: Crisis Prevention 2/2025
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