Am zweiten Tag der CPM Security Conference in München spricht Uwe Marquardt, Vizepräsident der Deutschen Hochschule der Polizei, über die Notwendigkeiten in der Vorbereitung der Polizei auf komplexe lebensbedrohliche Einsatzlagen im Zusammenhang der Gesamtverteidigung. Insbesondere mit Blick auf den Operationsplan Deutschland (O-Plan) handelt es sich hier um eine notwendige Diskussion im Sinne der zivil-miltärischen Zusammenarbeit.
Die Polizei sei grundsätzlich zuständig für Strafverfolgung und Gefahrenabwehr, leitet Uwe Marquardt ein. Aber auch für die Bewältigung von Sabotage und hybriden Bedrohungen sei in Deutschland zunächst einmal die Polizei zuständig.
Komme es zur Notwendigkeit von Amtshilfe gemäß Art.35 des Grundgesetzes, sei die Polizei der Bundeswehr gegenüber weisungsbefugt. Die Bundeswehr behalte in diesem Fall jedoch ihre eigene Kommandostruktur. Bei einem inneren Notstand beziehungsweise im Verteidigungsfall sei ein bewaffneter Einsatz der Bundeswehr im Inneren möglich. In diesem Fall handeln Polizei und Bundeswehr mit getrennten, aber abzustimmenden Kommandostrukturen.
Die Besprechung solcher Szenarien erscheine laut Marquardt notwendig vor einem nicht auszuschließenden Szenar, in dem sich die Geopolitik befinde: eine mögliche Verschärfung des Konfliktes zwischen der NATO und Russland, Deutschlands Rolle als Drehscheibe der NATO und die allgemeine Zunahme europaweiter hybrider Bedrohungen, die die militärische Versorgung der NATO schwächen sollen.
Lebensbedrohliche Einsatzlagen (LebEL)
Per Definition handelt es sich bei einer lebensbedrohlichen Einsatzlage (kurz LebEL) um eine polizeiliche Lage, bei der ein hohes Gefährdungspotenzial für das Leben von Opfern, Unbeteiligten und Einsatzkräften besteht. Solche Einsatzlagen seien in der Regel dynamisch sowie unübersichtlich und zeichnen sich durch Täter aus, die unmittelbar agieren und außergewöhnliche Gewaltanwendungen zeigen wie beispielsweise bei Brand- und Terroranschlägen oder Amokläufen.
Die Einordnung eines Einsatzes als lebensbedrohliche Einsatzlage obliegt der Polizei. Oft besteht in der Bewältigung von LebEL ein Interessenskonflikt zwischen der Hilfe für mögliche Opfer und dem Eigenschutz der Einsatzkräfte. Die Polizei müsse dazu ein hohes Risiko eingehen.
„Noch nicht im Krieg, aber schon nicht mehr im Frieden“ – Eine Einschätzung
Im Folgenden sprach Marquardt über das Szenar, in dem sich seiner Ansicht nach die Polizei in Hinblick auf die Entwicklung der aktuellen Lage befinden könne.
1. Das polizeiliche Gegenüber
Im Ernstfall könne es schlimmstenfalls zu einer Vielzahl gleichzeitiger Bedrohungen im Bundesgebiet kommen („flood the system“) – Cyberattacken, Drohnenangriffe, Attentate und Anschläge durch operative Akteure von Nachrichtendiensten, Militär und Dritten seien möglich. Insbesondere die Gleichzeitigkeit solcher Bedrohungen könne dann die besondere Herausforderung in deren Bewältigung darstellen.
Marquardt führt als historische Beispiele aus anderen Ländern vergangene Putschversuche, gewaltvolle Übernahmen fremder Landesgebiete, gezielte Desinformation und Gewalttaten oder Entführungen gegen wichtige Personen an, während auch die Zerstörung von Kritischer Infrastruktur (KRITIS) und andere Kleinkriegstaktiken zu erwähnen seien.
2. Die eigene polizeiliche Lage
Die deutsche Polizei sehe sich auch außerhalb eines Spannungs- oder Verteidigungsfalls bereits mit einer Vielzahl an Einsatzanlässen konfrontiert, sagt Marquardt. Komme es zum Ernstfall und zur durch den O-Plan geregelten Unterstützung der Streitkräfte durch die Polizei, würden sich natürlich auch die Menge an Einsatzanlässen und die Anforderungen an die Polizei multiplizieren.
Marquardt vermutet, dass es zu einem Ressourcenproblem seitens der Polizei kommen könnte, wenn polizeiliches Handeln über die originären Aufgaben hinweg notwendig würde. Vor allem in der Konfrontation mit nicht nur vereinzelt militärisch bewaffneten und ausgebildeten Gegnern sehe er die Polizei herausgefordert, da keine Waffengleichheit bestehe. Für diesem Fall sei eine Unterstützung durch Bundeswehr und deren Heimatschutz angezeigt und gesetzlich auch möglich.
Dennoch betont Marquardt anschließend, dass die Polizei insgesamt relativ gut aufgestellt sei, auch wenn weiterer Bedarf bestehe. Deutschlandweit gäbe es laut statistischem Bundesamt mehr als 300.000 Polizeibedienstete. In den vergangenen Jahren habe man leider viel Einsatzerfahrung in Amoklagen und terroristischen Bedrohungen erwerben müssen. Ebenso sei die Ausbildung und Ausstattung für die Bewältigung lebensbedrohlicher Einsatzlagen in den letzten Jahren deutlich verstärkt worden. Die Polizei habe zudem 24/ 7 eine dauerhafte Kaltstartfähigkeit und durch ihre Struktur mit einer Allgemeinen und Besonderen Aufbauorganisation eine gute Basis für die Bewältigung ihrer Einsatzanlässe.
3. Auftrag der Polizei und Durchführung im Kontext von lebensbedrohlichen Einsatzlagen
Im Allgemeinen habe die Polizei im Kontext von lebensbedrohlichen Einsatzlagen mehrere zentrale Aufgaben und sei auf diese auch vorbereitet. Als erstes nennt Marquardt das Binden der Täter und das Bekämpfen der Gefahr sowie möglichst die Festnahme der Täter. Hierneben falle die Schaffung sicherer Zonen in die Zuständigkeit der Polizei. All dies sei nötig, um Menschenleben retten zu können.
Damit dies gelingen könne, sei es von Wichtigkeit, möglichst schnell die Einsatzlage als LebEL zu klassifizieren. Nur so könnten alle vorhandenen Kräfte entsprechend der erwähnten Aufgaben mobilisiert werden. Marquardt hält es daneben für nötig, in Worst-Case-Szenarien regelmäßig zu üben, und sieht einen Bedarf für ein gemeinsames Lagezentrum, das diese Taten bundesweit erfassen und polizeiliche Handlungen ggf.auch koordinieren helfen kann. Bei solchen Lagen müssten außerdem alle vorhandenen Kräfte gebündelt und Reserven für langandauernde und multiple Gefahrenlagen gebildet werden.
Zum Abschluss machte Marquardt deutlich, dass eine Abstimmung und gemeinsame Übungen mit dem Heimatschutz, den BOS, Kommunen und Krisenstäben notwendig seien, um schwierigen und multiplen Einsatzlagen gerecht werden zu können. Hierfür müsse man „auch mal unkonventionell das Undenkbare denken und sich darauf vorbereiten“: Er formuliert hierzu einen Appell, der seiner Einschätzung nach auf der Security Conference „auf fruchtbaren Boden“ treffen würde: „Seitens aller beteiligten Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) müssen wir zusammen den Auftrag suchen und uns auch über das bisherige Maß hinaus überlegen, wie wir gemeinsam zukünftigen Herausforderungen begegnen.“
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