Krisenprävention im Wandel: Neues digitales Krisenportal

Die Johanniter-Unfall-Hilfe (JUH) in Nordrhein-Westfalen hat ein neues digitales Krisenportal entwickelt, um ihre Führungskräfte im Katastrophen- und Krisenfall optimal zu unterstützen. Das Johanniter-Krisenportal NRW stellt wichtige Informationen und Handlungsanweisungen ausfallsicher bereit und ermöglicht eine effiziente Koordination in Notlagen. Der Landesverband NRW ist der größte von neun JUH-Landesverbänden und engagiert sich in 15 Regionalverbänden im Rettungs- und Sanitätsdienst, Katastrophenschutz, Pflege, Hausnotruf und Kindertageseinrichtungen und weiteren Angeboten und sozialen, pädagogischen und medizinischen Dienstleistungen.

Krisenportal: Johanniter Einsatzkräfte auf einem Festival
Johanniter Einsatzkräfte auf einem Festival
Foto: Florian Roth

Das Besondere: Das Krisenportal nutzt nicht nur bei Katastrophen, bei denen die Johanniter im Katastrophenschutz und Großschadenslagen vielfach im Einsatz sind, sondern auch bei (Compliance-)Krisen in ihrer pädagogischen, sozialen und pflegerischen Arbeit.

Warum ein Krisenportal für eine christliche Hilfsorganisation in NRW?

Die Johanniter arbeiten tagtäglich mit den kleinsten, schwächsten und verletzlichsten Menschen zusammen in ihren Kitas, in der Pflege und im Rettungsdienst. Sie werden zu Unfällen, Krisen und Katastrophen gerufen. Sie beschäftigen zigtausende Mitarbeitende in Ehren- und Hauptamt, von denen jederzeit professionelle Perfektion und menschliche Zuwendung verlangt werden – nicht zuletzt aufgrund ihrer jahrhundertealten christlichen Tradition. Die Johanniter sind daher – wie letztlich alle großen (Hilfs)Organisationen, die in diesen Bereichen arbeiten – sehr krisenaffin.

Dabei unterscheiden ihre Führungskräfte qua Erfahrung und Schulungen natürlich zwischen Routinefall, Ereignisfall und Krisenfall und skalieren ihre Maßnahmen. Sie arbeiten im Ereignisfall ferner gemäß den verbindlichen Vorgaben im Qualitätsmanagement-System „Consense“ und der „Melde- und Informationszentrale“ der JUH. Ferner stehen den Entscheidern bei den Johannitern fachspezifische Expertinnen und Experten zur Beratung zur Verfügung, beispielsweise für Kinderschutz in Kitas und Jugendgruppen, für den Schutz von Mitarbeitenden vor verbalen und körperlichen Übergriffen und für die psychosoziale Notfallversorgung bei schlimmen Erlebnissen im Dienst.

Medienstrukturwandel befeuert Krisen

Viele Krisen entstehen jedoch heute weniger durch „klassische“ Fehler, Not- oder Schadenslagen, sondern auch durch soziale und mediale Dynamiken. Der Strukturwandel in der Medienlandschaft mit Tendenzen zur Personalisierung, Emotionalisierung und Skandalisierung hat die Frequenz wahrnehmbarer Krisen seit der Jahrtausendwende deutlich erhöht. Hinzu kommen Krisen, die mit und ohne realen Grund in Social Media entstehen und sich zu veritable Shitstorms ausweiten können, die wiederum die Medien aufgreifen.

Dies stellt Organisationen wie die JUH vor die Herausforderung, einerseits professionell zu agieren und andererseits reputationsschädigende Dynamiken frühzeitig einzudämmen. Im Sinne des Reputationsmanagements ist deshalb eine gründliche Vorbereitung von möglichen Krisenszenarien absolut unerlässlich für eine Verhinderung und Verringerung eines (Image)Schadens.

On top

Die Johanniter in Nordrhein-Westfalen haben deshalb ein mehrstufiges System zur Krisenprävention und -bewältigung aufgebaut. Dazu gehören, „on top“ zu den QM-Prozessen und Melderegeln der Melde- und Informationszentrale (24/7) der JUH:

  • regelmäßige zweitägige Medien- und Kameratrainings für Führungskräfte
  • ein fünfköpfiges Krisen-PR-Team mit einschlägigen Fortbildungen, um die kommunikative Arbeit vor Ort mittels Medienbeobachtung, Community Management oder Koordination von Bürger- und Servicetelefonen zu unterstützen
  • fortlaufende Schulungen und enge Verzahnung zur Krisenprävention, insbesondere in den operativ tätigen Fachbereichen
  • Mystery calls in den Pressestellen und Zentralen zur Krisensensibilisierung
  • ein auf Landesebene eingerichtetes Krisenportal mit Checklisten, Mustertexten und Themendossiers.

Das Johanniter-Krisenportal NRW wurde 2024 nach mehrjähriger Entwicklung landesweit eingeführt. Es ergänzt bestehende Strukturen um eine digitale Plattform mit Checklisten, Mustertexten, Sprachregelungen und Themendossiers plus Newsticker von relevanten Social Media-Accounts und NRW-Leitmedien.

Systematisierung von Krisenszenarien

Die Struktur des Krisenportals folgt einerseits niederschwellig über den Zugang zur jeweiligen Rolle des Nutzers (Kriseneinsteiger, Krisenmanager, Krisenkommunikator), wobei eingangs beispielsweise Stabsfunktionen, Aufbau und Aufgaben erklärt werden; andererseits der Systematik einer Krise folgend (Aktuelles, Krisenalarm, Krisenorganisation, Krisenmanagement, Krisenkommunikation, Themenmanagement, Krisenrecht, Kontakte). Ergänzend steht eine Suchfunktion zur Verfügung.

Im „Kern“ des Krisenportals erfolgt eine praxisnahe Kategorisierung potenzieller Krisenszenarien in acht große Cluster – von Technik- oder Gebäudeausfällen über Datenschutzverletzungen und Compliance-Verstöße bis hin zu Bedrohungslagen oder öffentlichkeitswirksamen Medienskandalen. Diese Einteilung erlaubt eine gezielte Vorbereitung mit entsprechenden Checklisten und Maßnahmenplänen. Außerdem finden Johanniter-Führungskräfte dort Dutzende vorbereitete Sprachregelungen für verschiedene Bezugsgruppen von „Behörden“ über „Mitarbeitende“ bis „Presse“ sowie nützliche Mustertexte für Szenarien wie beispielsweise plötzlich notwendige Führungskraftwechsel, Verletzung/Tod im Dienst, unbegründete Vorwürfe und für den Einspruch gegen Hasspostings bei Plattformbetreibern.

Ein Dutzend Themendossiers bspw. zu „Gewalt in der Pflege“ oder „Übergriffe auf Personal“ ermöglichen neuen Führungskräften und Pressesprechenden einen schnellen inhaltlichen Einstieg, wenn sie erstmalig mit einem solchen Krisenfall konfrontiert sind.

Außerdem sind dort wichtige JUH-Dokumente, -Vorlagen und -Adressen hinterlegt, die bei einem zentralen IT-Blackout anderweitig nicht mehr verfügbar wären. Rechtliche Grundlagen zu Informationspflichten etc. komplettieren das Informationsgebot.

Sichere Technik

Das Krisenportal der Johanniter NRW zeichnet sich durch seine robuste und flexible Typo3-Infrastruktur aus: Durch redundante Systeme und dezentrale, gesicherte Datenspeicherung beim externen Hosting-Dienstleister „Ingenit“ in Dortmund wird sichergestellt, dass relevante Informationen auch bei Störungen der üblichen Kommunikationswege und im zentralen JUH-Rechenzentrum in Berlin verfügbar bleiben. Führungskräfte können so via URL (nicht indexiert), Login und Passwort (gruppenspezifisch) jederzeit auf Checklisten, Muster-Sprachregelungen und Kontaktdaten zugreifen.

Aufbauhilfe vom Krisennavigator

Beim Aufbau des Krisenportals hat der „Krisennavigator“ aus Kiel die Johanniter NRW unterstützt. Mittels eines Audits mit einer intensiven Befragung von Führungskräften aus allen Bereichen wurden Defizite und Bedarfe von Krisenmanagement und -kommunikation ermittelt und in die Struktur und Inhalte des Krisenportals integriert. Dazu zählte u.a. das Fehlen von Mustertexten und eines zentralen (!) Wissenspools, die mit dem Krisenportal erfolgreich beseitigt wurden. Auf dieser Basis haben die Johanniter NRW das Krisenportal stark ausgebaut und auf ihre speziellen Krisen- und Einsatzsituation angepasst und es damit zu „ihrem“ Krisenportal gemacht.

Mit Workshops in allen Leitungskreisen der 15 Regionalverbände und im Landesverband NRW führten sie es erfolgreich ein und aktualisieren es fortlaufend.

Fazit & Ausblick

Mit ihrem digitalen Krisenportal setzen die Johanniter NRW neue Maßstäbe für modernes Krisenmanagement bei Hilfsorganisationen und Dienstleistern im sozialen, pädagogischen und medizinischen Bereich. Die ausfallsichere Bereitstellung wichtiger Informationen und Werkzeuge für Führungskräfte trägt dazu bei, die Einsatzfähigkeit auch unter schwierigen Bedingungen sicherzustellen, angemessen und differenziert zu entscheiden und den Reputationsschaden zu minimieren.

Die strukturelle und inhaltliche Weiterentwicklung der Krisenkommunikation bei der JUH NRW ist Ausdruck eines kontinuierlichen Lern- und Innovationsprozesses. Das schließt absehbare Entwicklungen ausdrücklich ein, wie etwa die Zivil-Militärische Zusammenarbeit angesichts der verschärften Sicherheitslage in Europa. Die institutionelle Resilienz hängt dabei nicht nur von Tools und Prozessen ab, sondern auch vom Bewusstsein und der Handlungskompetenz aller Beteiligten. Eine fortlaufende Professionalisierung der Krisen- und Stabsarbeit, regelmäßige Übungen und die Weitergabe von Wissen an neue Führungskräfte bleiben zentrale Aufgaben.

Katastrophen und Krisen lassen sich nicht immer verhindern – wohl aber vorbereiten und bewältigen. Das Krisenportal der Johanniter NRW ist ein Beitrag dazu, aus Herausforderungen routinierte Abläufe und gelingende Kommunikation entstehen zu lassen.

Autor: Dr. Tobias Eilers (Johanniter-Unfall-Hilfe LV NRW) 

Erstmals erschienen in: Crisis Prevention 3/2025

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