Der Herbst ist erfahrungsgemäß die Jahreszeit der Kongresse und Fachmessen. Diese Plattformen hat der Forschungsbereich „Angewandte Kriminalprävention und wissenschaftliche Begleitforschung“ am Lehrstuhl für Architektur und Visualisierung an der Brandenburgisch-Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (FKP/BTU) auch in diesem Jahr genutzt, um seine Aktivitäten den Anwendern vor Ort nahe zu bringen.
Das Thema Zufahrtsschutz war nach Bekanntwerden der Attentatspläne islamistischer Terroristen, auch mit Fahrzeugen auf den Tayler-Swift Konzerten in Wien die Besucher außerhalb der Veranstaltungsstätten anzugreifen, wieder top aktuell. Dazu wurden im Kontext der Kriegshandlungen in der Ukraine und dem Nahen Osten sowie sich weltweit ausbreitender Krisenherde die Fragen zur Resilienz unseres Landes im Hinblick auf den Bevölkerungsschutz und die zivile Verteidigung immer deutlicher formuliert. Da vom FKP/BTU zu beiden Szenarien Bausteine angeboten werden können, wurden auf zwei Veranstaltungen, die Möglichkeiten des Zufahrtsschutzes in Planung und Anwendung vorgestellt und aufzeigt, dass wir zu Bedrohungsszenarien, die unsere Bevölkerung treffen können, nicht unvorbereitet sein müssen.
Zufahrtsschutz
security Essen 2024
Nach dem Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin im Dezember 2016 starteten Detlev Schürmann und Christian Weicht im Jahr 2017 als Projektentwickler und Experten für Kriminalprävention die Initiative zum Projekt „Schutz öffentlicher Räume und von Veranstaltungen unter freiem Himmel vor Überfahrtaten“. Auf Basis der „Checkliste Zufahrtsschutz“ (© 2021/2023 Christian Weicht/Lemgo) wirkten sie richtungsweisend und maßgeblich an der Entwicklung eines bisher aus 4 Modulen bestehenden Sicherheitspakets mit.
Finanziell gefördert vom Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) wurden unter ihrer Leitung des FKP/BTU in Kooperation mit der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes zwei DIN-Standards, eine Handreichung für Kommunalverantwortliche und eine Liste von geprüften Produkten veröffentlicht.
Dieses Sicherheitspaket steht den Kommunen kostenneutral auf der Seite des FKP/BTU unter https://www.b-tu.de/fg-architektur-und-visualisierung/forschung/kriminalpraevention-bmi/aktuelles zum Download zur Verfügung.
- DIN SPEC 91414-1 Mobile Fahrzeugsicherheitsbarrieren für Sicherheitsanforderungen Teil 1: „Anforderungen, Prüfmethoden und Leistungskriterien“
- DIN SPEC 91414-2 Fahrzeugsicherheitsbarrieren für Sicherheitsanforderungen Teil 2: „Anforderungen an die Planung für den Zufahrtsschutz zur Verwendung von geprüften Fahrzeugsicherheitsbarrieren“
- Handreichung der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes „Schutz vor Überfahrtaten – Ein Leitfaden mit Checkliste für Kommunalverantwortliche“
- Die Produktliste ist nur auf schriftliche Anfrage bei der Polizei und auch nur für Kommunen erhältlich.
Auf Initiative des FKP/BTU hatte im Frühjahr 2024 der Bundesverband Sicherheitstechnik e.V (BHE) unter der Leitung von Christian Weicht und Detlev Schürmann ausgesuchte Akteure aus dem Bereich Zufahrtsschutz zu einem Informationsaustausch eingeladen. In der Folge entwickelten sie in Kooperation mit der Polizeilichen Kriminalprävention und den sachkundigen Akteuren ein 4-seitiges Faltblatt. Dieses ergänzt als „ZUFAHRTSSCHUTZ KOMPAKT“ das Sicherheitspaket für Kommunen. Neben den grundlegenden Zielen des Zufahrtsschutzes, enthält es Ausführungen zur Phänomenologie und zu Tätertypologien von Überfahrtaten sowie zu einschlägigen Regelwerken, Normen, Standards und Checklisten und stellt den Bezug zur Praxis her.
2. VEHICLE.SECURITY. BARRIER.CONFERENCE.
Am 24./25.09.2024 fand in Münster die VEHICLE.SECURITY. BARRIER.CONFERENCE. zum zweiten Mal auf dem CTS-Crashtestgelände statt, die von der BTU Cottbus organisiert wurde. Es war das Praxismodul der insgesamt zweiteiligen Veranstaltung, die ihren theoretischen Auftakt in der Vorwoche auf der Security-Messe in Essen genommen hatte.
Zur Eröffnung der Veranstaltung, an der mehr als 100 Personen aus dem In- und Ausland teilnahmen, sprach Markus Lewe, Oberbürgermeister Stadt Münster, das Grußwort. Im Anschluss daran erläuterte Alexandra Dorndorf, Polizeipräsidentin Münster, die Organisation ihrer Behörde im Allgemeinen und in der Zuständigkeit für den Regierungsbezirk Münster im Besonderen. Dazu gab sie einen Rückblick auf das G7-Treffen im November 2022 in Münster.
Erstmalig präsentierten wir einen Baustein aus Theorie und Praxis. Unter der Ankündigung “Digitale Zwillinge für Barrieren zum Schutz vor Fahrzeugangriffen“ wurde von hochrangigen Experten der Universität der Bundeswehr ein Fahrzeugangriff simuliert, der abgewehrt wird. Direkt im Anschluss erfolgte die praktische Umsetzung dieser Simulation unten identischen Bedingungen als praktischer Crashtest durch eine bauliche Abwehrmaßnahme in Form einer landschaftsgestalterischen Lösung, die auch von Kommunen angewandt werden kann. Eine Alternative/Ergänzung zu kostenintensiven „Pollerlösungen“, auch mit Blick auf die Stadtbildkonformität.
Für diesjährige Auswahl der Experten aus Wissenschaft und Praxis war Christian Weicht verantwortlich, der selbst einen Vortrag über Zufahrtsschutzkonzepte hielt. Gastgeber und Kongressveranstalter war Dipl.-Ing. Peter Schimmelpfennig (Geschäftsführender Gesellschafter der crashtest-service.com GmbH), der mit seinem Team wieder einmal Garant für die professionelle Umsetzung und Durchführung der Veranstaltung war. Neben dem vielseitigen Programm hat die begleitende Produktausstellung erfahrener Hersteller maßgeblich mit zum Gelingen dieser informativen Veranstaltung beigetragen.
Bedrohungsszenarien und Resilienz
eps ARENA SUMMIT 2024
Am 9. und 10. Oktober 2024 fand im „Deutsche Bank Park“ in Frankfurt a.M. zum sechsten Mal der eps ARENA SUMMIT statt, dem Leitevent der Sportstättenbranche. Eingeladen zur Podiumsdiskussion „Anfälligkeit, Ganzheitlichkeit, Sicherheit – Große Schlagworte – und dann? Unser Umgang mit (neuen) Bedrohungslagen“ hatte Christopher Pauer, Head of Communications, Stadionwelt, der dieses Panel selbst moderierte.
Teilnehmer für die BTU war Christian Weicht, als Experte für Kriminalprävention. Mit in der Runde: Sabine Funk, Crowd Safety Manager & Head of Education & Research, IBIT GmbH, Johannes Graubner, Abteilungsleiter Sicherheit und Verkehrsorganisation, Leipziger Messe GmbH, Rainer Schueler, Senior Venue Manager Euro 2024.
Gegenstand der Diskussionsrunde war die öffentliche Debatte zum Thema Bedrohungslagen, die oftmals nur als Terrorabwehr gesehen wird und damit eine klare Zuordnung der Verantwortlichkeit in Richtung der Gefahrenabwehrbehörden erfährt. Da selten diskutiert wird, welche Stellschrauben Veranstalter und Genehmigungsinstitutionen haben, um einen Event zu schützen und im Fall des Falles handlungsfähig zu bleiben, wurde dieser Aspekt hier, wie auch auf der IBIT24 Fachtagung in Köln aufgegriffen.
Kriminalprävention/BTU auf der IBIT24 Fachtagung
Zum 10-jährigen Jubiläum lud die IBIT unter Sabine Funk und Ralf Zimme am 15./16.10.2024 ins RheinEnergieSTADION nach Köln ein. Das breitgefächerte Programm beleuchtete wie immer die wesentlichen Fachgebiete der Veranstaltungssicherheit. Namhafte Experten aus Wissenschaft und Praxis teilten in Vorträgen verschiedener Themenstränge ihr Wissen und luden in Diskussionsrunden zum gemeinsamen Erfahrungsaustausch ein. Für weiteren Input sorgten die Fachleute in der begleitenden Ausstellung zu unterschiedlichen Themen und Produkten sowie die hervorragend organisierte Abendveranstaltung.
Der Forschungsbereich Kriminalprävention/BTU beteiligte sich an der Diskussion zur Frage: „Vor wem oder was müssen (oder sollten) wir uns fürchten?“ sowie zur Herausforderung: „Zu wissen, wie wir reagieren können, welche Möglichkeiten uns zur Verfügung stehen, die Chaosphase zu verkürzen, uns in Sicherheit zu bringen und den anderen die Arbeit zu erleichtern.“
Exemplarisch für die Behandlung dieser Frage verweisen wir auf das Engagement der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik. Sie beauftragte uns nach dem Amoklauf im Europazentrum 2016 in München, Sicherheitsempfehlungen für Mitarbeitende und Personalverantwortliche im Einzelhandel zu formulieren. Hier stehen im Zentrum die Empfehlungen der Polizeilichen Kriminalprävention bei extremen Gewalttaten:
F L Ü C H T E N – V E R S T E C K E N – A L A R M I E R E N.
Diese wurden anhand einer exemplarischen Amoktat in einem Supermarkt in einem Kurzfilm in Szene gesetzt, und beleuchten dabei die verschiedenen Rollen der Beteiligten. Der Film dient der ergänzenden Information im Rahmen ganzheitlicher Informationsveranstaltungen sowie Lern- und Trainingssituationen (weitere Informationen siehe CP-Ausgabe 1/2022, Seiten 16-20).
Die Autoren Schürmann und Weicht entwickeln Sicherheitskonzepte zur Prävention extremer Gewalttaten wie Amok und Terror sowie zum Schutz Kritischer Infrastruktur. Als freiberufliche Experten für Kriminalprävention koordinieren sie auftrags- und projektbezogen einen interdisziplinären Verbund von Wissenschaftler*innen und Anwender*innen, die auf den Gebieten der inneren Sicherheit Deutschlands tätig sind.
Als freie Mitarbeiter der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) Cottbus Senftenberg am Lehrstuhl für Architektur und Visualisierung von Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dominik Lengyel leiten sie den Forschungsbereich „Angewandte Kriminalprävention und wissenschaftliche Begleitforschung“. Es ist der erste und einzige Forschungsbereich „Urbane Sicherheit/Städtebauliche Kriminalprävention“ an einer Universität mit direkter Anbindung an einen Lehrstuhl für Architektur der Fakultät Architektur, Bauingenieurwesen und Stadtplanung in Deutschland.
Autoren: Detlev Schürmann und Christian Weicht
Erstmals erschienen in: Crisis Prevention 4/2024