Palantir: Zwischen Pragmatismus und Datenschutzbedenken

Während ein Schweizer Gutachten der Software von Palantir Technologies „verheerende Risiken“ attestiert, verteidigen deutsche Bundesländer deren Einsatz vehement. Die Recherche- und Analysesoftware, die bereits in den Landespolizeien von Bayern, Baden-Württemberg, NRW und Hessen zum Einsatz kommt, steht im Zentrum einer Debatte, die weit über technische Fragen hinausgeht und grundsätzliche Fragen zur Abwägung zwischen Sicherheit und Datenschutz aufwirft. Das Security Network hat an mehreren Stellen nachgefragt, um eine Skizze der Diskussion nachzuzeichnen.

Palantir in der Diskussion
Symbolbild
Bild: freepik.com

Der Bericht der Schweizer Armee hat die Diskussion neu entfacht. Während deutsche Behörden die Software als unverzichtbar für moderne Ermittlungsarbeit bezeichnen, kommt die Schweiz nach Abwägung der Vorzüge und Risiken von Palantir zu einem gegenteiligen Schluss und schließt eine schweizerische Verwendung des Programms aus. Von außen betrachtet stellt diese Absage für die vier deutschen Bundesländer, die die Analysesoftware bereits im polizeilichen Einsatz haben, eine Herausforderung dar: Wie lässt sich die eigene Position rechtfertigen, wenn das Nachbarland aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken eine klare Absage erteilt?

„Ein Vakuum können wir uns nicht leisten“

Die Antwort der Bundesländer fällt eindeutig aus: Ein Verzicht auf Palantir sei keine Option. Besonders deutlich wird dies in der Stellungnahme des hessischen Innenministers Roman Poseck: „Im Rahmen einer Abwägung halte ich die Risiken für unsere Sicherheit durch einen Verzicht auf diese Technologie für schwerwiegender.“ Zwar wünsche er sich perspektivisch deutsche oder europäische Lösungen, doch es gebe diese bislang nicht. „Ein Vakuum können wir uns in Anbetracht der angespannten Sicherheitslage und der Bedeutung der Datenanalyse nicht leisten.“

Diese Argumentation zieht sich durch alle Stellungnahmen, die das Security Network nach einer Anfrage an die entsprechenden Innenministerien erhalten hat: Baden-Württemberg, Bayern und Hessen verweisen auf die „enorme Erleichterung“ und gesteigerte Produktivität in laufenden Ermittlungsverfahren. Baden-Württemberg betont insbesondere das Potenzial der präventiven Verbrechensbekämpfung, wenn verschiedene Datensätze schnell verglichen und zusammengeführt werden können. Nordrhein-Westfalen hat auf die Anfrage bis zum Redaktionsschluss nicht geantwortet.

Die Alternativlosigkeit scheint mehr als eine Schutzbehauptung zu sein: Baden-Württemberg verweist auf eine europaweite Ausschreibung Bayerns, bei der einzig Palantir ein marktreifes Produkt anbieten konnte, das den Anforderungen entsprach. Die Frage lautet also auch: Warum gibt es keine europäischen Wettbewerber?

Technische Sicherheitsmaßnahmen als Schutzschild

Um Datenschutzbedenken zu begegnen, betonen alle drei Bundesländer umfangreiche Sicherheitsvorkehrungen. Die VeRA-Software sei nicht mit dem Internet verbunden und verarbeite ausschließlich bereits der Polizei vorliegenden Daten. Bayern stellt klar: „Somit besteht für die Firma Palantir weder physisch noch technisch die Möglichkeit, von außen auf VeRA zuzugreifen.“

Entscheidend ist auch: Die KI-Tools von Palantir werden in Deutschland nicht genutzt. Bayern beschreibt VeRA als „Programm, welches ausschließlich bereits bestehende Informationen verschiedener Dateien übersichtlich aufbereitet, ohne diese zu bewerten“. Die Interpretation der Daten erfolge ausschließlich durch Experten der bayerischen Polizei, wodurch algorithmische Verzerrungen, die zu einem Bias oder Diskriminierung führen könnten, ausgeschlossen seien.

In allen Bundesländern finde der Betrieb ausschließlich in gesicherten Rechenzentren in Deutschland unter Hoheit der Polizei statt, betonen alle drei Innenministerien. Fachkräfte des Anbieters könnten zwar für Wartungs- oder Schulungsmaßnahmen eingebunden werden, jedoch stets unter polizeilicher Aufsicht und ohne Zugang zu operativen Daten.

Rechtliche Grauzone bleibt bestehen

Trotz der klaren Positionierung zeigen sich auch bei den Befürwortern rechtliche Unsicherheiten. Bayern weist darauf hin, dass für die Verfolgung von Straftaten nach wie vor eine Befugnisnorm in der Strafprozessordnung fehlt. VeRA dürfe aktuell nur genutzt werden, solange eine Gefahr im Sinne des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes bestehe. „Eine rein strafverfolgende Nutzung von VeRA ist nicht zulässig.“

Im Koalitionsvertrag wurde zwar vereinbart, eine entsprechende Befugnis zu schaffen, doch bleibt abzuwarten, wann dies umgesetzt wird. Zudem ist die Nutzung selbstlernender Systeme zu Zwecken der Gefahrenabwehr im bayerischen Polizeiaufgabengesetz bislang ausdrücklich ausgeschlossen. Die landespolizeiliche Nutzung von Palantir unterliegt somit einem genau definierten rechtlichen Rahmen und hat Grenzen.

Wendt: „Datenschutz wird überbewertet“

Eine besonders kontroverse und eindeutige Position bezieht Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Auf unsere Frage nach den Differenzen in den Datenschutzuntersuchungen antwortet er knapp: „Untersuchungen sind häufig interessengeleitet und kommen deshalb zu unterschiedlichen Ergebnissen.“

Seine grundsätzliche Einschätzung geht weit über die Palantir-Diskussion hinaus: „Der Datenschutz in Deutschland wird ohnehin überbewertet. Es ist dringend an der Zeit, ihn komplett zu überdenken und neu zu justieren.“ Die Zahl der Datenschutzbeauftragten sei dringend zu reduzieren, schreibt er in seinem Statement weiterhin.

Zur Datensicherheit sagt Wendt: „Niemand kann immer und überall vor Datenmissbrauch sicher sein.“ Sorgen vor Datenmissbrauch relativiert er: Deutsche Sicherheitskräfte folgten jedoch keinen parteipolitischen Erwartungshaltungen, sondern seien an Recht, Gesetz und ihren Eid auf die Verfassung gebunden. „Deshalb sind die Daten unserer Bevölkerung bestmöglich gesichert.“

Diese Aussagen dürften in der ohnehin aufgeheizten Debatte für zusätzliche Kontroversen sorgen. Während die Bundesländer eine differenzierte Abwägung vornehmen und Datenschutzbedenken zumindest adressieren, stellt Wendt die Grundprämisse des Datenschutzes selbst infrage, ohne konkrete Gegenvorschläge zu liefern.

Ausblick: Eine Europa-VeRA als Exit-Strategie?

Aus den Anfragen an die Innenministerien ergibt sich ziemlich eindeutig, dass selbst die überzeugten Palantir-Nutzer in Deutschland mittelfristig eine europäische Alternative anstreben. Baden-Württemberg beispielsweise schreibt, dass sich das Land aktiv für die Entwicklung einer „Europa-VeRA“ einsetze. Das Innenministerium nennt als initiale Projektpartner die Airbus Defence and Space GmbH und die Digitalsparte der Schwarz Gruppe, Schwarz Digits. Weitere Unternehmen könnten folgen, heißt es in der Stellungnahme.

Dies zeigt: Die aktuelle Nutzung von Palantir wird als Übergangslösung verstanden, nicht als Dauerzustand. Die strategische Abhängigkeit von einem US-amerikanischen Unternehmen ist den Verantwortlichen bewusst – auch wenn sie kurzfristig keine Alternative sehen.

Innenminister Poseck formuliert es für Hessen so: „Es ist gut, dass die neue Bundesregierung die Notwendigkeit der automatisierten Datenanalyse unumwunden sieht und sie die Voraussetzungen dafür nun auch im Bund schaffen will. Das ist wichtig, denn Schwerverbrecher und Terroristen machen an Grenzen nicht halt.“

Fazit: Eine Frage der Prioritäten

Die Palantir-Debatte ist mehr als ein technischer Streit über eine Software. Sie offenbart unterschiedliche Prioritäten bei der Abwägung zwischen Sicherheit und Datenschutz, zwischen pragmatischen Notwendigkeiten und grundrechtlichen Bedenken.

Während die Schweizer Armee aus Datenschutzgründen auf die Technologie verzichtet, setzen deutsche Bundesländer auf strenge technische und rechtliche Rahmenbedingungen, um die Risiken zu minimieren. Ob diese Maßnahmen ausreichen oder ob das Schweizer Modell der richtigere Weg ist, wird sich in der Zukunft zeigen.

Bis dahin bleibt die Debatte eine Frage der politischen Einschätzung: Wie groß muss eine Bedrohung sein, um solch moderne Analysetools zu rechtfertigen? Und wie viel Datenschutz können wir uns in einer Zeit voll globaler Sicherheitsherausforderungen leisten? Die Antworten darauf fallen je nach Perspektive unterschiedlich aus und werden es wohl auch weiterhin tun.

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