Die Silvesternacht brachte erneut ins Bewusstsein der Bevölkerung, was für Einsatzkräfte bereits zum fast normalen Berufsleben gehört: Sie begegnen Gewalt und Aggression. Nicht nur für Polizisten, sondern auch für Feuerwehrleute, Katastrophenschützer und Rettungssanitäter gehören Gewalt und Belästigung zum Alltag. So lautet unter anderem ein erschütterndes Ergebnis der zweiten Umfrage, die der Deutsche Feuerwehrverband gemeinsam mit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung 2024 durchgeführt hat. Unabhängig davon weisen auch Polizeigewerkschaften, Hilfsorganisationen und das Bundesministerium des Innern und für Heimat auf das zu hohe Maß an Gewalt gegenüber Einsatzkräften hin. Dieser Artikel gibt einen Überblick.
Ein Blick in die täglichen Nachrichtenmeldungen zeigt, dass Einsatzkräfte diversen gewalttätigen Situationen ausgesetzt sind. Um einige Beispiele zu nennen:
- Der Chef des Johanniter-Regionalverbands Rhein-Main, Oliver Pitsch, berichtet davon, dass ihm im Einsatzalltag Unverständnis entgegengebracht werde, wenn er den Einsatzwagen bei einem dringlichen Einsatz in der zweiten Reihe oder in Anwohnerparkzonen abstellt.
- Ein 42-jähriger Mann aus Berlin schlug am 6. Januar 2025 mit einem Verkehrsschild auf ein Einsatzfahrzeug der Bundespolizei ein und ließ erst davon ab, als der Einsatz eines Distanz-Elektroimpulsgerätes angedroht wurde.
- Einen Tag später ereignete sich der tragische Unfall in Lauchhammer in Brandenburg, bei dem ein 32-jähriger Polizist aus Sachsen unter dem mutmaßlichen Mordmotiv der Verdeckung einer Straftat überfahren wurde.
- Besonders viele gefährliche Einsatzsituationen waren auch in der vergangenen Silvesternacht wieder zu verzeichnen: Einsatzkräfte wurden beim Löschen von Bränden attackiert oder mit Feuerwerk beschossen. Bilder und Videos aus Berlin zeigen kriegsähnliche Zustände, in denen Polizei und Feuerwehr unter akuter Lebensgefahr ihrer Tätigkeit nachgingen.
Schon diese kurze Aufzählung zeigt deutlich, dass eine große Variabilität in der Art und Ausprägung von Gewalt gegenüber Einsatzkräften besteht.
DFV-Befragung 2024
Nachdem bereits 2023 zum ersten Mal eine solche Umfrage unter Freiwilligen Feuerwehren durchgeführt wurde, lag der Fokus in dieser erneuten Befragung des Deutschen Feuerwehrverbands (DFV) darauf, die Stärke und Form der Betroffenheit von Gewalt auch unter Einsatzkräften von Werkfeuerwehren und Berufsfeuerwehren festzustellen, um mit bundesweit erhobenen Zahlen haltbare Forderungen an die Politik stellen zu können. Mit Blick auf die Umfrageergebnisse erscheint dies auch dringend notwendig.
52,6 Prozent der Befragten gaben an in den letzten zwei Jahren Beleidigungen, Bedrohungen oder tätliche Übergriffe während ihrer Tätigkeit erlebt zu haben. Neben einer deutlichen Dominanz verbaler Gewalt (bei 92% der Befragten) sehe sich ein großer Teil der Betroffenen zudem mit Verweigerungshaltungen, Behinderungen in der Arbeit durch Gaffen und unerlaubtes Filmen, Ignoranz und Respektlosigkeit konfrontiert. Tätliche Angriffe würden eher selten erlebt – am häufigsten wurde in diesem Zusammenhang die Androhung des Anfahrens mit einem Fahrzeug, also eine potenziell lebensgefährliche Situation, erwähnt. Dies geschehe bei Freiwilligen Feuerwehren und Werkfeuerwehren häufiger als bei Berufsfeuerwehren. Letztere hingegen erführen den Ergebnissen zufolge mehr Gewalt bei Einsätzen im häuslichen Umfeld und im Kontext des Rettungsdienstes.
Die Umfrage zeigt also nicht nur auf, in welchen Zusammenhängen welche Form von Gewalt wie häufig auftritt, sondern macht vor allem auch deutlich, dass zwei Drittel dieser Vorfälle nicht an zuständige Ordnungsbehörden gemeldet werden, da die Betroffenen keine Aussicht auf Erfolg erwarten.
Folgen von Gewalt im Einsatzalltag
Das Erleben von Gewalt im beruflichen oder ehrenamtlichen Alltag kann je nach Kontext zu unterschiedlichen Folgen bei den Betroffenen führen. Die Gewerkschaft Verdi Hessen nennt in einem einschlägigen Positionspapier als mögliche Folgeerscheinungen Demotivierung, Stress und körperliche oder psychische Schäden. Auch posttraumatische Symptome (Angstzustände, Schlafstörungen usw.) könnten auftreten und in Extremfällen sogar zu einer posttraumatischen Belastungsstörung führen. Im Allgemeinen seien die Folgen körperlicher Gewalt leichter festzustellen als die Konsequenzen aus wiederholten psychischen Gewaltakten.
Doch nicht nur für die betroffenen Einsatzkräfte bestehen individuelle Gefahren: Auch die Organisationen leiden unter den Übergriffen, was sich in zunehmenden Fehlzeiten der Einsatzkräfte, deren sinkender Motivation und damit auch geringerer Produktivität niederschlägt. Außerdem führe das hohe Maß an Gewalt zu wachsenden Schwierigkeiten bei der Gewinnung neuer Mitarbeiter und Helfer.
Keine Akzeptanz für Gewalt
Innerhalb der betroffenen Organisationen ist man sich einig, dass diese Ergebnisse für eine nicht haltbare Situation im Alltag der Einsatzkräfte sprechen:
Mit diesen Zahlen dürfen wir uns nicht abfinden! Wer sich beruflich oder ehrenamtlich für andere einsetzt, hat Respekt verdient, keine Beschimpfungen,
mahnt Dr. Stefan Hussy, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV).
Auch Karl-Heinz Banse, Präsident des Deutschen Feuerwehrverbands (DFV) äußert sich entrüstet:
Unsere Zahlen beweisen erneut, dass dies kein Einzelfall ist. Gesellschaft und Politik sind jetzt erst recht gleichermaßen gefordert, das Rückgrat der inneren Sicherheit zu unterstützen.
So forderte der DFV-Präsident schon in der Vergangenheit betroffene Einsatzkräfte dazu auf, Gewalt konsequent anzuzeigen. Gleichzeitig forderte er, dass man sich auf ein effektives Durchgreifen der „Justiz verlassen können müsse“, indem die Anzeigeverfahren vereinfacht und Sonderanwaltschaften eingeführt würden.
Wie können wir alle etwas gegen Gewalt im Einsatzalltag tun?
Ein erster wichtiger Schritt könne laut der DGUV darin bestehen, dass Arbeitgebende und Führungskräfte Gewalt als Risiko bei der Arbeit oder im Einsatz ernst nehmen und gegebenenfalls geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen. Dazu gehören mit Blick auf das Positionspapier von Verdi beispielsweise das Anbieten von Deeskalationstrainings, besserer Schutzkleidung, Selbstverteidigungstraining und psychosozialer Betreuung für Betroffene. Im Gegenzug sollten sowohl angestellte als auch ehrenamtliche Einsatzkräfte die erlebten Vorfälle melden, damit ein Kommunikationskreislauf entstehen kann. Aber auch Menschen, die rein zufällig Zeugen von Übergriffen gegenüber Einsatzkräften werden, können helfen, indem sie die Polizei rufen.
Damit es gar nicht erst so weit komme, ruft die DGUV insbesondere Bildungseinrichtungen dazu auf, Angebote zur Gewaltprävention in den schulischen Alltag zu integrieren und so das Bewusstsein für ein achtsames, verträgliches und respektvolles Miteinander von klein auf zu etablieren.
Passend dazu wählen die DGUV und verschiedene Berufsgenossenschaften seit etwas mehr als einem Jahr einen öffentlichkeitswirksamen Weg der Aufklärung: Mit der Kampagne #GewaltAngehen werden Anzeigen und Plakate mit der Botschaft „Es geht alle an, wenn man mich angeht“ verbreitet, um ein gesellschaftliches Bewusstsein dafür zu generieren, dass Gewaltprävention eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft darstelle.
Einen ähnlichen Ansatz verfolgte die vom Bundesministerium des Innern und für Heimat durchgeführte Kampagne „Hier fürs Wir – Zusammen für mehr Respekt“, die im Herbst 2024 durch fünf deutsche Städte zog. In Form eines Bürgerdialogs konnten die Bürger mit Einsatzkräften von Polizei, Feuerwehr, THW und Rettungsdiensten ins Gespräch kommen, um hautnah Einblicke in deren alltägliche Herausforderungen zu erhalten. Ein weiteres Ziel dieser Kampagne bestand darin, die Menschen für umsichtiges Verhalten in Notsituationen zu sensibilisieren, um einen größeren gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern.
Weitere mögliche Schritte
Gewalt und extremes Gedankengut kann mit Blick auf verschiedene Definitionsansätze ein Anzeichen von Unzufriedenheit und fehlenden Möglichkeiten zur anderswertigen Kompensationdarstellen. Hiervon gehe eine enorme Gefahr aus, wie dieses Zitat von Rainer Wendt, dem Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, deutlich macht:
Gewalt, Kriminalität und Terror werden Deutschland zum Pulverfass in Europa machen, wenn sich nicht grundlegende Änderungen einstellen. […] Die Wirklichkeit in Deutschland erstickt jeden Optimismus, die Haushalte schrumpfen, die Technik und die Infrastruktur veralten, das Personal wird älter und frustrierter.
Es sei also dringend an der Zeit für eine politische Zeitenwende, um die Sicherheit des Staates und somit auch aller an seinem Gelingen Beteiligten gewährleisten zu können.