Interview mit Herrn Generalleutnant a.D. Martin Schelleis – „Wir brauchen einen Masterplan Zivilschutz!“

André Luhmer, Leitender Redakteur des Fachmagazins Crisis Prevention, führte mit Generalleutnant a. D. Martin Schelleis ein Interview. Der Bundesbeauftragte für Krisenresilienz der Malteser fordert in Analogie zum Operationsplan Deutschland (OPLAN DEU) die Erstellung eines Masterplans Zivilschutz.

Generalleutnant a. D. Martin Schelleis im Gespräch mit dem Pressesprecher der Malteser
Generalleutnant a. D. Martin Schelleis im Gespräch mit dem Pressesprecher der Malteser
Foto: Malteser
Herr Schelleis, bitte sagen Sie kurz etwas zu Ihrer Person, woher Sie kommen und wie Sie jetzt bei den Maltesern in Köln gelandet sind.

Ich war 46 Jahre lang Soldat, zum Schluss 8 ½ Jahre als Inspekteur der Streitkräftebasis, verantwortlich für querschnittliche militärische Unterstützungsleistungen für die Truppe. Sieben Jahre lang war ich Nationaler Territorialer Befehlshaber, u. a. zuständig für die Amtshilfeeinsätze der Bundeswehr, z. B. im Rahmen der Pandemie und der Hochwasserkatastrophe 2021. Praktisch zeitgleich mit meiner Pensionierung baten mich die Malteser sie zu beraten: Was heißt Kriegstüchtigkeit für die Bundeswehr für den Malteserverbund? Selbst Malteserritter, habe ich natürlich gerne zugesagt. So bin ich im Sommer 2024 zu meinem Ehrenamt gekommen.

Was ändert sich denn nun für die Malteser?

Die Gesamtverteidigung ist ein nun dringend wieder zu beackerndes Feld, was Jahre lang brach lag und noch deutlich mehr politische Initiative braucht. Der Einsatz der Bundeswehr in Deutschland war in den letzten 30 Jahren durch die erwähnten Amtshilfeeinsätze geprägt. Um die Kriegstüchtigkeit zu erlangen, sind vor dem Hintergrund einer gänzlich anderen Bedrohungslage heute aber ganz anders geartete ganzheitliche Ausbildungen und Übungen notwendig. Die Bereitschaftsgestellungen der Bundeswehr für NATO und EU sind deutlich anspruchsvoller als in der Vergangenheit. Wir stellen seit diesem Januar etwa 35.000 deutsche Soldatinnen und Soldaten des Gesamtpakets von 300.000 der schnellen Krisenreaktionskräfte der NATO und eine von zwei Battlegroups für die Rapid Deployment Capability der EU. Und weil die organischen Unterstützungskapazitäten der Streitkräfte heute nicht aufgabengerecht ausgestattet sind und durch die zusätzlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik in den nächsten Jahren noch weiter gefordert werden, wird die Bundeswehr, werden die Streitkräfte, vom Bedarfsdecker in der zivilmilitärischen Zusammenarbeit zum Bedarfsträger. Die Bundeswehr braucht schon zur Erfüllung ihrer militärischen Aufgaben zivile Unterstützung, z. B. im Bereich Sanität und im Bereich Logistik. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Malteser.

Wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen bei der Zusammenarbeit zwischen der Bundeswehr und den zivilen Hilfsorganisationen? Wie steht es um die Kommunen, die für ihre jeweilige Lage als stabsverantwortliche Dienststelle verantwortlich sind?

Alle Beteiligten wollen Risiken wirkungsvoll begegnen und Katastrophen, beziehungsweise deren Folgen, schnell bewältigen. Auf allen Ebenen gibt es da ein gutes, ergebnisorientiertes Miteinander. Wir sehen uns in Deutschland ja nicht nur militärischen oder geopolitischen Gefahren ausgesetzt, sondern auch „internen“ – menschengemachten – wie Sabotage und Cyberangriffe, oder flächendeckende Naturkatastrophen etc. Und auf all das müssen wir uns ganzheitlich, sowohl auf der zivilen als auch auf der militärischen Seite, vorbereiten.

Diesbezüglich würde ich mir allerdings noch mehr Vorwegnahme der erwartbaren Gefährdungen wünschen, um in Ruhe eine bessere, strukturiertere Zusammenarbeit aufzusetzen. Wir haben in Deutschland ein föderales System mit vielen für die Sicherheit Verantwortlichen, da sollte die Zusammenarbeit nicht erst in der konkreten Krise beginnen. Das sollten wir besser bereits im Vorfeld einüben.

Gibt es da Abstimmungsprozesse mit den Beteiligten?

Nicht nur die Malteser haben verstanden, dass Kriegstüchtigkeit ein Thema für das gesamte Land ist. Und nicht nur in der Bundeswehr, sondern auch in der Politik auf allen föderalen Ebenen wird es sehr begrüßt, dass sich systemrelevante Organisationen wie die Malteser auf eine neue Zeit einstellen. Ob bei Politikern, Offiziellen, Verbandsvertretern oder Experten – allenthalben stoße ich auf offene Ohren. Die Gespräche sind alle von einer konstruktiven Grundhaltung und dem ehrlichen Interesse an einer engeren Zusammenarbeit geprägt. Die Sensibilität ist zweifellos vorhanden, aber es gibt noch viel zu tun.

Wie beurteilen Sie die Aufgaben und begonnenen Prozesse in Bezug auf den sogenannten OPLAN Deutschland, beziehungsweise Host Nation Support? Man gewinnt den Eindruck, dass manche Beteiligte mit dem Begriff noch nicht viel anfangen können?

Die Entwicklung des OPLAN und die Kommunikation nach außen haben zu einem echten Bewusstseinswandel in Deutschland geführt. Der OPLAN ist die militärische Antwort auf die Risiken und Gefährdungen, die uns in Deutschland ins Haus stehen. Er definiert die zur Begegnung dieser Risiken erforderlichen Fähigkeiten. Wir sind geografisch bedingt eine Transitnation. Deswegen werden auch die Unterstützungsbedarfe der Alliierten verarbeitet, solange diese sich in Deutschland aufhalten oder durch Deutschland durchmarschieren. Klar ist, dass die aus militärischen Bedrohungen resultierenden Aufgaben für unser Land durch das Militär allein nicht bewältigt werden können. Dafür braucht es zivile Ressourcen, auch der Hilfsorganisationen.

Verletztentransport im Rahmen einer ZMZ-Übung
Verletztentransport im Rahmen einer ZMZ-Übung
Foto: Malteser

Zusätzlich aber werden in Krisenzeiten auch die Bedarfe für den Schutz der Bevölkerung steigen, z.B. für temporäre Unterbringungsmöglichkeiten, Verpflegung, Sanitätsbetreuung etc. Stärkere Flüchtlingsströme sind möglich und müssen unter Umständen bewältigt werden. Das wird den Druck auf die schmalen Unterstützungskapazitäten im Land weiter erhöhen. Nur leider wissen wir nicht, was die zivilen Bedarfsträger konkret erwarten. Was wir also fordern, ist in Analogie zum militärischen OPLAN einen „Masterplan für den Zivilschutz in Deutschland“. Daraus sollte hervorgehen, worauf wir uns in Deutschland einstellen müssen und wer welche Fähigkeiten zur Bewältigung der resultierenden Aufgaben stellt.

Sehen Sie das BBK in der Pflicht, sich zu beteiligen?

Absolut. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) bzw. das dort angesiedelte Gemeinsame Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz (GeKoB), an dem die Bundesländer beteiligt sind, eignen sich m. E. sehr gut für die notwendige Koordination im föderalen System. Es wäre auch die richtige Institution, um mit dem Operativen Führungskommando (OpFüKdo) der Bundeswehr die zivil-militärische Zusammenarbeit zu vertiefen.

Das deckt sich mit den Aussagen von Herrn Schäuble, Leiter der Feuerwehr München, der in unserem Interview sagte, dass man sich hinsetzen sollte und schauen sollte, was brauchen wir denn und wer macht was und wie verbinden sich die Dinge? Wie sehen Sie das, haben Sie ein Fallbeispiel im Kopf, nehmen wir einen Spannungsfall, wie eine zivilmilitärische Zusammenarbeit aussehen könnte?

Also in der idealen Welt gibt es einen ganzheitlichen Plan, ausgehend von einem All-Gefahren-Ansatz, der zivile wie militärische Risiken adressiert.

Wir können uns unmöglich auf alle Eventualitäten vorbereiten, sondern müssen priorisieren. In der idealen Welt hat man dann eine Übersicht, was zur Einhegung bzw. Bewältigung der definierten Risiken gebraucht wird. Dann weist man in einem iterativen Prozess Aufgaben und erforderliche Fähigkeiten zu. Dabei sollten natürlich bestehende Kompetenzen berücksichtigt werden. Die Malteser sind z. B. stark in der Flüchtlingsbetreuung und im Rettungsdienst, andere im Krankenhausbetrieb.

Wo soll das Personal herkommen, haben Sie dafür genug, reicht es in Deutschland insgesamt?

Ganz ehrlich, diese Frage kann momentan niemand beantworten. Weder wissen wir, ob das Personal insgesamt ausreicht, noch wieviel für die einzelnen Aufgabenfelder verfügbar ist. Viele Ehrenamtler sind mehrfach engagiert – welcher Organisation stehen sie im Krisenfall tatsächlich zur Verfügung? Wir müssen in einer ganzheitlichen Absprache klären, welche Position durch den Ehrenamtler vordringlich besetzt werden soll: die hauptberufliche im Wasserwerk, die des Reservisten bei der Bundeswehr oder die des Rettungssanitäters bei den Maltesern?

Das andere ist die Frage, ob die Anzahl aller Freiwilligen überhaupt ausreicht. Selbst wenn Malteser, Johanniter und DRK alle für sich sagen können, dass wir intern gut aufgestellt sind – solange wir keine ganzheitliche Bedarfsforderung haben, kann man diese Frage für Deutschland insgesamt nicht beantworten. Und mein Bauchgefühl sagt mir, dass das, was wir bisher an Ehrenamtlern, an Freiwilligen und in den diversen Hilfsorganisationen haben, nicht zur Bewältigung der anstehenden Herausforderungen ausreicht. Antwort kann nur die oben skizzierte gesamtheitliche Analyse liefern. Wenn wir dann feststellen, das verfügbare Personal reicht nicht aus, muss man sich überlegen, wie die erkannte Lücke zu decken ist. Einige glauben offenbar, dass man, wenn das Ehrenamt nur attraktiver gestaltet wird, deutlich mehr Freiwillige gewinnen kann. Ob das reicht, wird aber erst dann deutlich, wenn man die ganzheitliche Maßgröße ermittelt hat.

Das Rote Kreuz in Bonn, hat im Rahmen der Flut im Ahrtal zeitlich begrenzte Helferschaften aus der Gesamtbevölkerung aufgestellt. Wie bewerten Sie das?

Grundsätzlich ist es toll, dass Menschen keine Mühe scheuen, teils spontan weit anreisen und sich als freiwilliger Helfer in einer Katastrophe anbieten. Die täglich neue Ungewissheit über Zahl und Qualifikation der tatsächlich verfügbaren Helfer macht es für die Einsatzplaner und -führer aber sehr schwer. Wenn heute spontan 100, morgen dann auf einmal 300 auf der Matte stehen, das ist schon eine Herausforderung. Trotzdem kann die Konsequenz nicht sein, dass die Spontanhelfer nach Hause geschickt werden, weil diese Menschen dann zutiefst enttäuscht sind.

Es gibt im Bereich des Rettungsdienstes Ersthelfer-Apps, wo sich Freiwillige melden können und bei einer Reanimation, Herz-Kreislauf-Stillstand, zum Einsatzort geschickt werden. Wäre das eine mögliche Blaupause für solche Helfersysteme, wo man sich vorher registrieren kann?

Ja, das würde schon helfen. Manche Leute können oder wollen sich nicht fest binden, sondern nur fallweise engagieren. Für diese muss man pfiffige Lösungen finden. Der eine Spontanhelfer hat eine Ersthelferausbildung, der andere hat eine IT-Kompetenz. Mit der von Ihnen erwähnten App gewinnt man eine Vorstellung davon, wer kommt, wie kann ich den einsetzen.

Aber ehrlich gesagt, Herr Luhmer, es wäre aus Sicht des alten Militärs viel, viel hilfreicher, wenn man diese Informationen im Vorfeld einer Krise hätte und längerfristig wüsste, wie viele Leute zur Verfügung stehen, damit man sie entsprechend ihrer Qualifikationen effektiv einsetzen kann. Noch besser wäre natürlich der Beitritt zu einer Hilfsorganisation, dort können Menschen gezielt qualifiziert werden. Die Ideallösung wäre aus meiner Sicht ein von vornherein feststehender Personalkörper, mit dem man arbeiten, mit dem man planen kann.

Was erwarten Sie von der künftigen Bundesregierung?

Frieden und Sicherheit müssen ganz oben auf der ´To Do‘-Liste der neuen Bundesregierung stehen. Die nationale Sicherheitsstrategie vom 14. Juni 2023 gibt einen, wie ich finde, guten Überblick über die Gefahren und die notwendigen Handlungen in Deutschland. Richtigerweise differenziert sie nicht zwischen innerer und äußerer Sicherheit. Und sie fordert den ebenenübergreifenden Ansatz im föderalen System, weil aus einer krisenhaften Situation im Frieden schnell der Spannungs- oder der Verteidigungsfall resultieren kann. Sie bildet also eine gute Grundlage für die nun erforderlichen konkreten Umsetzungsaktivitäten.

Idealerweise wird dies unter angemessener Beteiligung der Länder und der kommunalen Gebietskörperschaften aus dem Bundeskanzleramt gesteuert. Als Arbeitsmuskel für die konkrete Ausplanung sehe ich das BBK/GeKOB und das OpFüKdo der Bundeswehr sehr gut geeignet – auch hier müssen alle föderalen Ebenen angemessen beteiligt werden. Und nicht zuletzt auch die Hilfsorganisationen, die einen Teil der identifizierten Aufgabenlast werden tragen müssen.

Herr Schelleis, vielen Dank für das Gespräch.

Erstmals erschienen in: Crisis Prevention 1/2025

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