Einsatzhygiene im Fokus: Für den Schutz von Einsatzkräften

Am 06.11.2025 fand in Düsseldorf, am Rande der A+A, die 2. Internationale Fachtagung zur Einsatzhygiene statt. Moderiert von Dr. Christian Miller, Chef der Kölner Berufsfeuerwehr, wurde hier sehr deutlich: Einsatzhygiene ist kein Nischenthema mehr, sondern zentraler Bestandteil von Arbeits- und Gesundheitsschutz in Feuerwehr, Rettungsdienst, THW, Polizei und angrenzenden Bereichen. Die Beiträge spannten den Bogen von internationaler Krebsforschung über EU-Regulierung und Spezialgefahren (PAK, PFAS und Faserverbundwerkstoffen) bis hin zu sehr konkreten Praxislösungen für Dekontamination von PSA, Haut und Infrastruktur.​

Marcus Bätge ist der Gründer von FeuerKrebs und setzt sich für die Optimierung der Einsatzhygiene ein
Marcus Bätge ist der Gründer von FeuerKrebs
Foto: FeuerKrebs

Berufliche Exposition und Krebsrisiko

Mehrere Vorträge ordneten die Einsatzrealität in den aktuellen wissenschaftlichen Kontext ein. Marcus Bätge, Gründer und Geschäftsführer von FeuerKrebs gUG und Initiator der Fachtagung, zeigte auf, dass Feuerwehr, THW, Rettungsdienst, Brandermittler, Schornsteinfeger und Teile der Polizei vergleichbaren Belastungen durch krebserzeugende Brandfolgeprodukte (PAK, Benzol, Dioxine, Ruß, Fasern) ausgesetzt sind – mit relevanten Aufnahmewegen über die Atemwege, Haut, Kleidung und Verpflegung.

Paul Demers, wissenschaftlicher Direktor am Forschungszentrum für berufsbedingte Krebserkrankungen in Toronto und Mitglied zahlreicher Expertengremien, darunter von Arbeitsgruppen der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) und Alex Forrest, Kanadischer Treuhänder, Feuerwehrmann, Rechtsanwalt und Gewerkschaftspräsident der International Association of Fire Fighters Winnipeg (IAFF), stellten die IARC‑Monographie 132 und deren Tragweite vor:

Die Tätigkeit als Feuerwehrkraft ist nun als krebserzeugend für den Menschen (Gruppe 1) eingestuft, mit ausreichender Evidenz für Mesotheliom und Harnblasenkrebs sowie begrenzter, aber konsistent positiver Evidenz für u.a. Kolon‑, Prostata‑, Hodenkrebs, Melanom und NHL (Non-Hodkin-Lymphom).

Forrest verdeutlichte, dass es sich dabei nicht um ein theoretisches Risiko handelt, sondern um die „tragische Realität des Berufs“, gestützt auf umfangreiche epidemiologische und mechanistische Daten zu DNA‑Schäden, oxidativem Stress und epigenetischen Veränderungen. Demers zeigte anhand großer Kohorten‑ und Metaanalysen, dass die Evidenzbreite und -qualität seit 2007 massiv zugenommen habe und die Einstufung für alle Arten von Feuerwehr – Berufs-, Freiwillige, Wildland, sowie den weiblichen Einsatzkräften– gilt.

Rechtlicher Rahmen und EU‑Krebsrichtlinie

Auf regulatorischer Ebene erläuterte Frau Dr. Romy Marx, Referentin aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, die Rolle der EU‑Chemikalienrichtlinien (CAD, CMRD, Asbestrichtlinie) und die schrittweise Verschärfung der Krebsrichtlinie inklusive risikobasierter Grenzwerte (BOELV) für krebserzeugende Stoffe. Sie zeigte, wie in „Paketen“ sukzessive Stoffe wie PAK, Dieselruß, Formaldehyd, Nickelverbindungen, Asbest, Blei, Diisocyanate und perspektivisch Schweißrauche in den Regelungsbereich aufgenommen werden – mit Mindestanforderungen an Gefährdungsbeurteilung, STOP‑Maßnahmen und Grenzwerten. Der explizite Verweis auf die IARC‑Einstufung der Feuerwehrtätigkeit als Gruppe‑1‑Kanzerogen unterstrich, dass der Gesetzgeber die Einsatzrealität zunehmend aufgreift, auch wenn eine ausdrückliche Übernahme in die CMRD derzeit noch nicht verhandelt wird.

Polizei, Brandermittlung und „blinde Flecken“

Tobias Kugler machte aus polizeilicher Perspektive sichtbar, dass jenseits der Feuerwehr oft weder Gefahrenradar noch Einsatzstellenhygiene‑Konzepte existierten. In seiner Arbeit identifizierte er drei Hauptgefahren: mangelnde Aufklärung, Inkorporation (Inhalation, Haut, Körperöffnungen) und Kontaminationsverschleppung über Uniformen, private Kleidung, FEM (Führungs- und Einsatzmittel), Dienstwagen und Asservate. Daraus leitete er konkrete Maßnahmen ab:

  • Aufklärung und Einbindung in Aus- und Fortbildung, v.a. Brandermittler‑Lehrgänge.
  • Technische/organisatorische Schutzmaßnahmen (Umluftbetrieb, Windrichtung, FFP2/3, frühes Herauslösen kontaminierter Kräfte, strukturierte Brandursachenermittlung mit geeigneter Schutzkleidung Kat. III und Atemschutz).
  • Maßnahmen gegen Kontaminationsverschleppung (Verpacken kontaminierter Kleidung und Asservate, professionelle Reinigung, Vermeidung privater Wäschekontamination).

Damit wurde klar: Einsatzhygiene ist eine organisationsübergreifende Aufgabe, nicht auf Feuerwehren begrenzt.

PFAS: „neue“ Altlast im Feuerwehralltag

Melissa Furlong, Assistenzprofessorin für Umweltgesundheitswissenschaften an der Universität von Arizona, beleuchtete detailliert PFAS‑Belastungen und Gesundheitsrisiken bei Feuerwehrkräften, basierend u.a. auf der Fire Fighter Cancer Cohort Study (FFCCS) mit tausenden Teilnehmenden. In verschiedenen Kohorten zeigt sich, dass bestimmte PFAS wie PFHxS bei Feuerwehrleuten regelmäßig höher sind als in der Allgemeinbevölkerung, während klassische PFAS zwar rückläufig, aber weiterhin relevant sind. Als Quellen wurden u.a. PFAS‑haltige Einsatzkleidung, AFFF‑Schaum, stationärer Staub und kontaminiertes Trinkwasser (v.a. Hausbrunnen) identifiziert, wobei „Feuerwachenstaub“ häufig höher belastet ist als jener in Wohnumgebungen.

Gesundheitlich wurden Zusammenhänge zu Nieren‑ und Hodenkrebs (PFOA), Stoffwechselstörungen, Schilddrüsenerkrankungen und epigenetischen Veränderungen dargestellt, die auch in zukünftige Krebsrisiken hineinwirken. Ein klinischer Leitfaden empfiehlt ab einem Summenwert von sieben PFAS ≥20 ng/ml gezieltes Screening (Schilddrüse, Cholesterin, Nieren‑ und Hodenkrebs), was die Brücke zur praktischen arbeitsmedizinischen Vorsorge schlägt. Besonders praxisrelevant: bestimmte Verhaltensweisen und Organisationsmaßnahmen (Blut-/Plasmaspende, Nass-/Seifendekontamination, Gear‑Bags, Waschen der PSA vor Lagerung, Umkehrosmosefilter, häufiges Staubwischen) korrelieren mit niedrigeren Serumspiegeln.

Faserverbundwerkstoffe und neue Materialrisiken

Tobias Lussi, Experte im Bereich spezieller Gefahrenausbildung für moderne Werk-stoffe. Sein Alleinstellungsmerkmal sind hierbei die weitreichenden Kennt-nisse über Gefahren moderner Faserverbundwerkstoffe, zeigte, wie die wachsende Nutzung von Faserverbundwerkstoffen (CFK, GFK, Hybride) in Luftfahrt, Automobilbau, Windkraft, Sport und Medizintechnik neue Gefahren in Brand- und TH‑Lagen schafft. Kritisch sind insbesondere lungengängige Fasern mit Durchmessern <3 µm, die bei Brand, thermischer Zersetzung oder Zerspanung in die Alveolen eindringen können, sowie scharfe Bruchkanten und feine Splitter. Neben mechanischen Risiken (Schnitt‑/Rissverletzungen, Entzündungen) wurden chemische Gefahren durch Zersetzungsprodukte (CO, CO₂, Blausäure, organische Säuren) und der Verdacht auf Tumorbildung und Erbgutschädigung betont.

Anhand realer Szenarien (Flugzeugabstürze, Windkraftanlagenbrände) und Medienberichten wurde deutlich, dass diese Einsätze in der Praxis bereits Realität sind. Die Frage „Wie schütze ich meine Einsatzkräfte vor Kontamination, scharfen Kanten und Inkorporation?“ blieb bewusst als Arbeitsauftrag für Konzepte und Ausbildung im Raum stehen.

Dekontamination von PSA: von „Waschen“ zu validierten Verfahren

Thomas Leucht General Manager beim unabhängigen Prüflabor Weber & Leucht GmbH und Lars Reuter, Inhaber eines vereidigten Sachverständigenbüros und Sachverständiger Textilreinigermeister, beleuchteten die Dekontamination von Feuerwehr‑PSA aus ihrer Sicht. Sie differenzierten zwischen Grobreinigung/Einsatzstellenhygiene und Feinreinigung/Instandhaltung und stellten klar, dass die Pflicht zur sicheren Wiederverwendung aus der Arbeitsstättenverordnung folgt. Die Herausforderung liegt in der Kombination aus hochkomplexen Materialsystemen (Aramide, Membranen, Beschichtungen, Reflexstreifen, Kautschuke) und einem breiten Spektrum an Kontaminanten (PAK, Ruß, PFAS, Dioxine/Furane, Fette/Öle, Mineralfasern, Biogefahrstoffe).

Mit dem Prüfsystem WL‑DEFF 32 wurde ein standardisiertes Verfahren vorgestellt, bei dem definierte Prüfkörper mit repräsentativen Stoffgruppen (Brandrückstände, Fette/Harze, Asbest/Mineralfasern, PAK, Tenside, Phthalate) kontaminiert und nach Dekontamination mittels ATR‑FTIR, LC‑MS und REM/EDX bewertet werden. Die Dekontaminationsleistung wird in Prozent und Ratingklassen (A–D) ausgewiesen, was eine objektive Beurteilung, Optimierung und Zertifizierung von Wasch- und Reinigungsverfahren ermöglicht – ein wichtiger Schritt von „gefühlter“ zu nachweisbarer Einsatzhygiene.

Hautdekontamination und Wasserhygiene

Am Ende rückte Dr. Jonas Schubert, CEO und Mitbegründer von DermaPurge und „Erfinder“ des Hautreinigungsmittels pak ex®, die Haut als zentralen Aufnahmeweg für PAK in den Fokus und zeigte mit fluoreszierenden Markern eindrücklich, dass selbst nach korrekt getragenem Atemschutz noch erhebliche Kontaminationen an Übergangsbereichen bestehen. Studien zur Wirksamkeit verschiedener Reinigungsmethoden zeigten, dass herkömmliche Seifen und Wipes PAK teilweise unzureichend entfernen und über den „Wash‑in‑Effekt“ die Penetration in die Haut sogar verstärken können.

Mit „pak‑ex“ wurde ein seifenfreies, pH‑hautneutrales Produkt vorgestellt, das in Untersuchungen eine deutlich stärkere Reduktion der PAK‑Belastung auf der Haut erreicht und dabei die Hautbarriere schont. Ergänzt wurde dies durch den Hinweis, dass verwendetes Wasser selbst hygienisch einwandfrei sein muss: Messungen in Fahrzeugtanks zeigten teils massive Keimbelastungen, weshalb Sterilfiltrationslösungen (SterilFlow 200) entwickelt wurden, um an Hygieneboards Wasser in Trinkwasserqualität bereitzustellen. Praktische Empfehlungen umfassen Grobreinigung vor Ort, zeitnahe Volldusche (max. ca. 32 °C), geeignete Produkte, persönliche Spender und klare Abläufe, um Hand‑Mund‑Kontakt und Kontaminationsverschleppung zu minimieren.

Gemeinsame Leitlinien und Ausblick

Über alle Beiträge hinweg zeichneten sich mehrere gemeinsame Linien ab:

  • Einsatzhygiene ist ein zentraler Bestandteil der Prävention beruflich bedingter Krebserkrankungen und anderer Langzeitschäden, nicht „nice to have“.​​
  • Der Schwerpunkt verschiebt sich vom reinen Atemschutz hin zu ganzheitlichen Konzepten, die Haut, PSA, Infrastruktur, Wasser und Organisation umfassen.​​
  • Wissenschaftlich fundierte Standards (IARC‑Monographie, EU‑Krebsrichtlinie, validierte Prüf- und Reinigungsverfahren, klinische Leitfäden) gewinnen an Bedeutung und liefern eine belastbare Grundlage für Politik, Unfallversicherung und Praxis.​​
  • Es besteht weiterhin Bedarf an Forschung – insbesondere zu PFAS, Faserverbundwerkstoffen, unterrepräsentierten Zielgruppen (Frauen-, Wildland‑FF, Nicht‑Weiße, Low‑/Middle‑Income‑Länder) und zu praktikablen, evidenzbasierten Hygienekonzepten für Polizei, Brandermittler und Spezialkräfte.​

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die 2. Internationale Fachtagung zur Einsatzhygiene markiert einen Punkt, an dem internationale Krebsforschung, europäische Regulatorik und praxisnahe Lösungen sichtbar zusammengewachsen sind. Der Auftrag in die Fläche lautet nun, diese Erkenntnisse in verbindliche Standards, Ausbildung, Beschaffung und den täglichen Einsatzbetrieb zu überführen, um das Gesundheitsrisiko für alle Einsatzkräfte nachhaltig zu senken.​​​

Autor: Marcus Bätge (CEO FeuerKrebs gUG)

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