Wenn es zu gefährlichen Sonderlagen kommt, sind Polizei, Feuerwehren und auch Hilfsorganisationen inzwischen weltweit mit speziell geschultem Personal im Einsatz. Aus gutem Grund verfügen sie über besondere Einsatzgruppen zum Beispiel zur Terrorismusbekämpfung, bei Amokläufen oder zur Geiselbefreiung. Solche Einsätze kommen zum Glück eher selten vor; dennoch oder gerade deshalb ist es wichtig, stets gut darauf vorbereitet zu sein. Angehörige des Rettungsdienstes müssen dann unter unvorhersehbaren Rahmenbedingungen und außerhalb der üblichen Routinen alle erforderlichen Maßnahmen im Rahmen eines taktischen Vorgehens durchführen. Die Mitglieder des ESR durchlaufen dafür eine erweiternde Ausbildung, die nicht nur medizinische Fachkenntnisse umfasst, sondern auch spezielle Trainings für den Einsatz in polizeilichen Lagen.
Seit 2017 sind alle Rettungsmittel im Kreis Siegen-Wittgenstein auf Basis der Austattungsempfehlung des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westphalen mit taktischen Notfallprodukten ausgerüstet. Damit die rund 400 Rettungsdienst-Mitarbeitenden des Kreises Siegen-Wittgensteins im Einsatzfall gut vorbereitet sind, werden kontinuierliche, modular aufbauende Weiterbildungen und Trainings, über die gesetzlich geforderte 30-Stunden-Fortbildung hinaus, angeboten. Im Jahr 2023 wurde zusätzlich für alle Mitarbeitenden das Modul „Bleeding Control Plus“ verpflichtend implementiert.
Das ESR: eine interdisziplinäre Einsatzeinheit mit besonderen Fertigkeiten
Das „Einsatzteam Sonderlagen Rettungsdienst“ setzt sich aus Mitarbeitenden der Berufsfeuerwehr Siegen und des DRK-Rettungsdienstes zusammen. Sie alle sind ausgebildete Notfallsanitäter bzw. Notfallsanitäterinnen und Provider verschiedenster internationaler Kursformate wie TECC (Tactical Emergency-Casualty-Care), PHTLS (Prehospital Trauma Life Support), AMLS (Medical Life Support), EPC (Emergency Paediatric Care) und ACLS (Advanced Medical Life Support).
Zudem sind die Teammitglieder teilweise als Praxisanleiter, HEMS oder in der Führungsausbildung tätig. Das Team ist spezialisiert auf die strukturierte und prioritätenorientierte Patientenversorgung mit Fokus auf die Versorgung penetrierender Verletzungen sowie die allgemeine Traumaversorgung. Der Rettungswagen „Sonderlagen“ wird bei Alarmierung mit drei Teammitgliedern besetzt. Jede Person hat im Einsatz eine festgelegte Rolle:
Position 1: Teamführung, Kommunikation & Schnittstelle
Position 2: Patientenversorgung
Position 3: Patientenversorgung & Materialmanagement
Dem Einsatzteam Sonderlagen steht ein „Sonderlagen“ Rettungswagen zur Verfügung. Dieser ist ein Reserve-RTW des DRK-Rettungsdienstes. Der RTW ist DIN ausgestattet und konform aller RTWs im Kreis Siegen-Wittgenstein, darüber hinaus sind weitere taktische Medizinprodukte verlastet:
- 2 taktische Notfallrucksäcke: Hierbei handelt es sich um eine abgespeckte Version des klassischen Notfallrucksacks, ausgelegt auf die Versorgung von traumatologischen Verletzungen
- 4 Damage Control Set: Kleine Bauchtaschen, die besonders für die Erstversorgung und Großschadenslagen zusammengestellt sind
- 1 Zusatztasche Verbrennung, junktionale Blutungen & Hypothermie
- 1 Zusatztasche ManV
- 1 Schleiftrage
- 5 Digitalfunkgeräte HRT
Die Verfügbarkeit des Teams ist rund um die Uhr. Bei vorgeplanten Einsätzen wird der Teamleiter telefonisch durch die Kreisleitstelle Siegen-Wittgenstein alarmiert. Der Teamleiter stellt dann die Besatzung aus den Teammitgliedern zusammen. Das Team meldet sich zur definierten Bereitstellungszeit bei der Kreisleitstelle.
Planung und Alarmierung sind in diesem Falle meist ein bis zwei Tage vor dem Einsatz. In Adhoc-Lagen erfolgt die Alarmierung über Meldeempfänger. Hier benötigt das Team eine Vorlaufzeit von rund 25 Minuten, weshalb zusätzlich ein RTW aus dem Regelrettungsdienst zur Überbrückung alarmiert wird. Im Falle einer Großschadenslage besteht die Möglichkeit, auf die gesamte Gruppe zurückzugreifen.
Das Einsatzteam Sonderlagen Rettungsdienst trainiert das Vorgehen in Sonderlagen mindestens einmal im Monat mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten, darunter z.B. Kommunikation zwischen Polizei und Rettungsdienst auf operativer Ebene, Skilltraining mit speziellen taktischen Medizinprodukten oder Maßnahmen zur Qualitätssteigerung im Bereich der notfallmedizinischen Patientenversorgung. Das gemeinsame, intensive Training mit den verschiedenen Einheiten der Polizei ist hierbei die wichtigste Grundlage.
Kooperation als Schlüssel zum Erfolg
Zentraler Aspekt der Arbeit des Teams ist die enge Zusammenarbeit mit der Polizei. In taktischen Sonderlagen ist eine klare Rollenverteilung und eine abgestimmte Kommunikation zwischen den Einsatzkräften entscheidend. Die Polizei übernimmt in solchen Fällen in der Regel nicht nur die Sicherung des Einsatzortes und den Schutz der Einsatzkräfte, sondern auch die medizinische Erstversorgung. „Es ist wichtig im Einsatz eine Sprache zu sprechen und zu wissen mit welchen Fähig- und Fertigkeiten mein Gegenüber unterstützen kann“, so Manuel Wego vom DRK-Kreisverband.
„Wir haben in Siegen-Wittgenstein kurze Wege zur Polizei und gute, über Jahre gewachsene Kontakte. Darum können wir uns nach den Trainings direktes, ehrliches Feedback geben, was für unsere Qualitätssicherung entscheidend ist. Denn nur wenn wir konstruktiv miteinander umgehen, also Stärken aber auch Schwächen offen zur Sprache bringen, stärken wir unsere Vertrauensbasis, die notwendige Voraussetzung ist für effizientes Handeln im Ernstfall.“
Bedeutung für die Region und darüber hinaus
Die Etablierung dieses spezialisierten Einsatzteams unterstreicht die Bedeutung, auf Worst-Case-Szenarien vorbereitet zu sein und dabei auf eine enge Kooperation mit der Polizei zu setzen. Die Art der Zusammenarbeit könnte als Modell für andere Regionen dienen, denn schließlich stehen alle vor ähnliche Herausforderungen.
Dazu Manuel Wego: „Polizei und Rettungskräfte vor Ort können nicht wissen, wann und wo der Ernstfall eintritt. Unsere Devise lautet daher: Stets bestmöglich vorbereitet zu sein, um in der Sonderlage taktisch und strukturiert handeln zu können. Das ist für die betroffenen Menschen wichtig – und auch für die Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst.“
Herausforderungen und Perspektiven
Die Zusammenarbeit mit anderen Rettungsdiensten und Polizeibehörden auf überregionaler Ebene ist von großer Bedeutung. Der Austausch von Erfahrungen im Einsatz und die Teilnahme an gemeinsamen Übungen mit Einsatzkräften aus anderen Regionen können dazu beitragen, das Wissen und die Fähigkeiten des Teams Sonderlagen weiter zu verbessern und auf dem neuesten Stand zu halten.
Das Einsatzteam Sonderlagen Rettungsdienst stellt eine wegweisende Initiative dar, die zeigt, wie durch gezielte Vorbereitung und enge Kooperation mit der Polizei die Hilfe für Betroffene in Extremsituationen gewährleistet werden kann.
Autor: Manuel Wego
Erstmals erschienen in: Crisis Prevention 2/2025
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