Interview mit Philipp Rücker, Polizeioberkommissar der Beweissicherung- und Festnahmeeinheit (BFE) der Polizei Sachsen: über die Herausforderungen angesichts der aktuellen Sicherheitslage, die Ausbildung und die Zusammenarbeit mit anderen Organisationseinheiten.
Das Interview führte André Luhmer, Leitender Redakteur Crisis Prevention.
Welche Herausforderungen sehen Sie angesichts der aktuellen Sicherheitslage für Ihre BFE-Einheiten?
Die Herausforderungen bestehen aus meiner Sicht neben der Bewältigung der Vielzahl an Einsatzlagen (Versammlungen, Veranstaltungen wie Fußball, Unterstützungseinsätze, Staatsbesuche, Absicherung von Wahlkampfveranstaltungen, etc.) in der Gewährleistung und Durchführung einer lageangepassten Fortbildung. Auch das Thema Nachwuchsgewinnung spielt in Zeiten rückläufiger Bewerberzahlen eine immer größere Rolle. Dies meine ich für die Polizei im Allgemeinen und uns als Beweissicherungs- und Festnahmehundertschaft im Besonderen.
Natürlich wirken sich die aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen auch auf unsere Einsatzlagen aus. Hier gilt es, die Strategien und Handlungsvarianten stetig zu prüfen und bei Notwendigkeit anzupassen. In Bezug auf die Einsatzlagen wird auch die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Organisationseinheiten – aber auch zwischen Bund und Ländern – immer wichtiger.
So gibt es in Sachsen nicht nur eine sehr lebhafte und ausgeprägte Versammlungskultur, sondern auch eine Vielzahl an risikobehafteten Fußballeinsätzen in der 1. bis hin zur 4. Liga. Dadurch ergibt sich in Sachsen der regelmäßige Unterstützungsbedarf anderer BFEn von Bund und Ländern, sodass es im direkten Zusammenwirken zwischen den Einheiten auch um eine Harmonisierung von Arbeitsabläufen geht. Und gemeinsame Handlungsabläufe lassen sich in Einsatzsituationen nur dann abrufen, wenn sie intensiv trainiert wurden.
Perspektivisch ist auch im Bereich der Führungs- und Einsatzmittel (FEM) eine Vereinheitlichung anzustreben. Insbesondere die anhaltend angespannte Haushaltslage stellt aus meiner Sicht eine große Herausforderung für die Beschaffung von einsatzrelevanter Technik dar. Denkbar hierbei wäre beispielsweise die Beschaffung von weiteren non-lethalen Einsatzmitteln, die als Distanzmittel eingesetzt werden.
Umso wichtiger erscheint mir die Weiterführung und das Vorantreiben von Synergieeffekten bei der Beschaffung, nicht nur auf Landesebene. Hierzu sei die Erprobung von neuen FEM oder auch von Konzeptionen genannt, die teils langwierig sind, aber unter Beteiligung von entsprechenden Fachdienststellen von Bund und Ländern unbedingt weiter vorangetrieben werden müssen. An Bedeutung gewinnen in diesem Bereich Arbeitsgruppen und Kompetenzstellen unter Beteiligung der Länder und des Bundes.
Der internationale Terrorismus birgt mit seinen vielfältigen Facetten von schwer bewaffneten, arbeitsteiligen Tätern bis hin zu radikalisierten Einzeltätern, die überall und jederzeit Auftreten können, mit Sicherheit eine ungebrochen hohe Gefahr. Dies bedeutet vor allem für die Einsatzkräfte der BFHu Sachsen, sich neben den zahlreichen Einsätzen im Rahmen von intensiver Aus- und Fortbildung auf die verschiedene Einsatzlagen und Bedrohungen der heutigen Zeit einzustellen und vorzubereiten.
Wie richten Sie Ihre Aus- und Fortbildung auf diese Herausforderungen aus?
Die Aus- und Fortbildung unterliegt ständigen Änderungen und Anpassungen und ist somit ein stetiger Optimierungsprozess. So führen wir standardmäßig sowohl Einsatzvorbereitungen als auch Einsatznachbereitungen durch, um Schwerpunkte in den o. g. Bereichen zu setzen.
Mithilfe von qualifizierten Trainern für die jeweiligen Schwerpunktbereiche als auch durch Anpassungen in der erforderlichen Spezialgrundausbildung, die alle Beamten nach Zuversetzung in unseren Verband zu absolvieren haben, versuchen wir uns auf die aktuellen Herausforderungen im Einsatzgeschehen bestmöglich vorzubereiten.
Auch durch den regelmäßigen Erfahrungsaustausch zwischen Kollegen anderer BFEn aus Bund und Ländern, im Rahmen von gemeinsamen Lehrgängen oder Veranstaltungen, kann das Ausbildungsniveau bereichert werden. Nicht zuletzt, da auch wir Übungen durchführen und unsere Kollegen aus Bund und Ländern einladen oder wir eingeladen werden. So variieren Übungen von einfachen Sachverhalten bis hin zu komplexen Großlagen, die es unter verschiedenen Gesichtspunkten zu bewältigen gilt.
Aufgrund der eingangs dargestellten Vielzahl und Bandbreite von Einsätzen im Freistaat Sachsen, ist es durchaus eine Herausforderung, die Kollegen in der erforderlichen und notwendigen Frequenz fortzubilden- Dank vieler engagierter Trainer aus den eigenen Reihen und Untersetzern vom jeweiligen Standort gelingt es uns jedoch, die BFHu Sachsen für die Herausforderungen der heutigen Zeit zu wappnen und eine qualitativ hochwertige Aus- und Fortbildung durchzuführen.
Insbesondere bei der Bewältigung von unfriedlichen Großlagen, ganz gleich ob mit Fußball- oder Versammlungsbezug, sind wir in Sachsen sehr erprobt.Durch unsere Beteiligung an zahlreichen bundesweiten Gremien und Arbeitsgruppen fließen auch dadurch Neuerungen mit ein.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den Spezialeinheiten und anderen Organisationseinheiten im Einsatz?
Als BFHu sind wir Teil der Bereitschaftspolizei und diese wird nur auf Anforderung anderer Dienststellen tätig. Die Zusammenarbeit mit Spezialeinheiten gehört nicht zu unserem absoluten Kerngeschäft. In speziellen Bereichen sind wir jedoch gewissermaßen „Exklusivpartner“, da wir die zu bewältigenden Aufträge in einer spezialisierten Art und Weise so bedienen können, wie es sonst nur eine Spezialeinheit kann, die jedoch meist formell nicht zuständig ist.
Die Zusammenarbeit mit anderen Organisationseinheiten ist vielfältig und verläuft in den meisten Fällen zielführend. Beginnend von der Einsatzvorbereitung, der eigentlichen Lagebewältigung bis zur Nachbereitung des Einsatzanlasses sind wir als BFHu eingebunden und anerkannter Partner.
Im Zusammenwirken mit anderen Organisationseinheiten aus dem taktischen Einsatzbereich ist es stets die größte Herausforderung, einheitlich vorzugehen, was allein durch verschiedene Ausbildungs- oder Ausrüstungsstände erschwert werden kann. Auch die Intension des Vorgehens muss im Vorfeld klar abgesprochen werden.
Natürlich gibt es auch bei uns Schnittmengen mit Spezialeinheiten. Angefangen bei den o.g. Einsätzen aber auch punktuell im Bereich der Fortbildung.
Die Zusammenarbeit mit Spezialeinheiten erfolgt in der Regel bei geplanten Maßnahmen in den entsprechenden Kriminalitätsbereichen. Sowohl im Bereich der Voraufklärung als auch der eigentlichen Einsatzmaßnahme erfolgt eine gute Zusammenarbeit.
Für Ad-hoc-Lagen gibt es in Sachsen ein landeseinheitliches Konzept zur Bewältigung von lebensbedrohlichen Einsatzlagen (lebEl). Im Zuge der Umsetzung dieses Konzepts wurden die jeweils zuständigen Polizeidirektionen (PD) damit betraut und halten ihrerseits Kräfte der jeweiligen Inspektion Zentrale Dienste (IZD) vor, die permanent als Interventionskomponente bereitgestellt werden. Wir verfügen ebenfalls über die entsprechende Ausstattung, bis auf das sondergeschützte Fahrzeug, und gewährleisten im Ernstfall diesen Auftrag ebenso.
Primär sind jedoch diese eben genannten Kräfte der IZD dafür vorgesehen. Auftrag dieser Einheiten ist die Schadensminimierung und Stabilisierung der Lage, bis die Spezialeinheiten eintreffen.
Dies war im vergangenen Jahr in Dresden innerhalb kürzester Zeit mehrfach der Fall, als es beispielsweise in der Altmarkt-Galerie Dresden zu einer Geiselnahme kam.
Eine Alarmierung der BFHu oder einzelner BF-Einheiten erfolgte seinerzeit nicht, wäre aus meiner Sicht jedoch grundsätzlich auch denkbar gewesen.
Welche Rolle spielt die taktische Einsatzmedizin in Ihrem Verband?
Die taktische Einsatzmedizin spielt selbstverständlich auch bei uns im Verband eine große und vor allem zunehmende Rolle, wodurch sie fester Bestandteil der Fortbildung ist.
Die Grundausbildung erfolgt dabei durch den Polizeiärztlichen Dienst (PÄD) der sächsischen Polizei und wird in der Folge durch eigens ausgebildete Multiplikatoren der Einheiten übernommen.
Darüber hinaus finden turnusmäßig Übungen mit den Einsatzsanitätern der Bereitschaftspolizei statt aber auch train-the-trainer-Veranstaltungen, um den Ausbildungsstand der einheitsinternen Multiplikatoren auf einem hohen und aktuellen Niveau zu halten.
Neben der persönlichen Notfallausrüstung – individual first aid kit (IFAK) – sind die Einheiten mit weiterführenden Notfallrucksäcken ausgestattet, um größere Schadenslagen wie einen Massenanfall von Verletzten (MANV) zu versorgen und lebenserhaltende Maßnahmen vor Ort durchzuführen, bis die zivilen Rettungskräfte diesen Auftrag übernehmen können.
Insbesondere die terroristischen Anschläge aus Paris im Jahr 2015 und danach stattgefundene Anschläge haben den hohen Stellenwert der taktischen Einsatzmedizin im Kontext des polizeilichen Handels verdeutlicht.
Auch durch die Zunahme des Einsatzes von Hieb- und Stichwaffen begegnen den Kolleginnen und Kollegen immer häufiger lebensbedrohliche Verletzungsmuster, die ein sofortiges Handeln erforderlich machen – sowohl bei Unbeteiligten als auch bei Tatverdächtigen. Das taktische Vorgehen ist dabei immer abhängig von der konkreten Einsatzlage, jedoch stets unter maximaler Eigensicherung und taktischen Gesichtspunkten.
Welche technologischen Hilfsmittel und welche Fahrzeugtechnik haben sich bei der Bewältigung Ihrer Aufgaben bewährt und was wünschen Sie sich diesbezüglich für die Zukunft?
Die technologischen Entwicklungen sind in den letzten Jahren mit einer enormen Geschwindigkeit vorangeschritten, sodass es einer Behörde nur schwer möglich ist, aufgrund von gesetzlichen Vorgaben Schritt zu halten. Beispielhaft sind hierzu Ausschreibungsverfahren zu nennen.
Dennoch stehen wir im Freistaat Sachsen in puncto Ausrüstung sehr gut da. So verfügt die BFHu Sachsen über polizeiliche Smartphones in großer Stückzahl. Diese Geräte verfügen über Applikationen, mit denen eine Koordination und auch Kommunikation in Echtzeit möglich ist, was bei der Bewältigung von dynamischen Einsatzaufträgen essentiell ist.
Einer unserer Kernaufträge steckt bereits im Namen – die Beweissicherung. Dementsprechend kommt der Foto- und Videotechnik eine immense Bedeutung zu. Dies betrifft sowohl die mobile Kameratechnik, zu der auch Drohnen mitgezählt werden sollten, als auch stationäre Technik, die in Beweissicherungs- und Dokumentationsfahrzeugen fest verbaut ist.
Die qualitativen Ansprüche der Beweisführung gegen den Beschuldigten im Rahmen des Strafverfahrens sind in den letzten Jahren gestiegen, so dass objektiven Beweisen, wie beispielsweise Film- und Fotoaufnahmen, eine immer größer werdende Bedeutung zugemessen wird. Dies erfordert natürlich auch eine entsprechende Technik, um diesen Ansprüchen Rechnung zu tragen. Insbesondere der Themenkomplex „Drohnen“ gewinnt an Bedeutung.
Im Bereich der Funktechnik verfügen wir beispielsweise über (digitale) Mannausstattung, was im Rahmen des zielgerichteten und strukturierten Vorgehens unerlässlich ist. Darüber hinaus gibt es aktuell Bestrebungen, Funktechnik zu beschaffen, mit der es möglich ist, sowohl Telefon als auch Funkgerät über eine Steuerungseinheit zu bedienen, wodurch sich freie Kapazitäten für andere Schwerpunkte ergeben.
Im Bereich der Öffnungstechnik gibt es ebenfalls Überlegungen, sich mit hydraulischen Werkzeugen auszustatten.
Bei allen Neuerungen darf man jedoch nicht vergessen, dass alle Führungs- und Einsatzmittel auch entsprechend zeitaufwendig fortgebildet werden müssen und es auch außerhalb der BFHu Sachsen Spezialeinheiten oder spezialisierte Kräfte gibt, die über einsatzbezogene Sondertechnik verfügen und gezielt unterstützen können.
Durch die Bandbreite an Aufgaben wird unseren Fahrzeugen viel abverlangt, wobei die Verlässlichkeit auf eben dieser ein entscheidender Faktor ist. Durch die steigende Anzahl an Führungs- und Einsatzmitteln hat sich ein sogenanntes Rüstfahrzeug etabliert. Auf diesem befindet sich ein Großteil der gesonderten Technik, die im Einsatz mitgeführt wird.
Bei den Halbgruppenfahrzeugen findet derzeit eine Umstellung von Mercedes Benz Sprinter auf Ford Transit statt. Aufgrund der Tatsache, dass wir als Bereitschaftspolizei nicht nur im eigenen Bundesland tätig werden, sondern auch bundesweit agieren, verbringen wir viel Zeit in den Fahrzeugen, weshalb es wünschenswert wäre, wenn auf die Erfordernisse und Bedürfnisse der Endanwender im Rahmen der Ausschreibung noch intensiver eingegangen würde.
Aufgrund unseres Auftrages, an Brennpunkten unfriedlichen Geschehens zu agieren, liegt es aus meiner Sicht in der Natur der Sache, dass wir über zeitgemäße Technik verfügen und unsere Ausrüstung mit entsprechenden Schutzklassen ausgestattet ist. Als aktuelles Beispiel kann hier die neue modulare Körperschutzausstattung (KSA) genannt werden. Diese vereinigt die klassische Schutzausrüstung der Bereitschaftspolizei mit einem integrierten ballistischen Schutz.
Wie eingangs dargestellt und mit Blick in das Bundesgebiet, stehen wir als BFHu Sachsen gut da und sind grundsätzlich zufrieden mit unserer Ausstattung und auch Ausrüstung.
Wie denken Sie über die künftigen Aufgaben und welche Botschaft haben Sie an politische Entscheidungsträger?
Das ist eine sehr spannende Frage. Wir als BFHu sind im übertragenen Sinne ein Rädchen im Zahnrad der Polizei, das wiederum ein Grundpfeiler und zugleich Hüter unserer Verfassung und des Grundgesetzes ist. Unser gesamtes Vorgehen beruht auf rechtstaatlichen Prinzipien und orientiert sich immer an der Verhältnismäßigkeit.
Meiner Meinung nach sind sowohl populistische Forderungen als auch Sparzwänge – um nur zwei Beispiele zu nennen – im Zusammenhang mit der Polizei wenig zielführend.
Meine Erwartungshaltung gegenüber den politischen Entscheidungsträgern ist, dass uns die notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt werden, um unseren polizeilichen Kernauftrag bestmöglich umzusetzen und somit effektiv gegen Kriminalität und die Herausforderungen der Zukunft vorgehen zu können.
Gerade in Zeiten der Globalisierung und international-operierender krimineller Strukturen wird der Einsatz spezialisierter Kräfte, die über die Landes- und Bundesgrenzen hinaus zusammen agieren, meiner Meinung nach immer wichtiger und zeigt sich schon jetzt in Großeinsätzen wie im Zusammenhang mit dem Encro-Chat-Verfahren.
Es ist nicht zu erwarten, dass die Einsatzlagen abnehmen werden, wodurch das zielgerichtete Vorgehen – insbesondere gegen die Organisierte Kriminalität – ein wichtiger Baustein sein wird (Stichwort: Cybercrime).
Dementsprechend müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen ein polizeiliches Handeln gegen eben diese Strukturen auch zulassen.
Herr Rücker, vielen Dank für das Gespräch.
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