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Comprehensive Defence – Ein neuer systematischer Ansatz zur Gesamtverteidigung

BwConsulting, die Inhouse-Beratung der Bundeswehr, hat mit „Comprehensive Defence“ ein neuartiges Framework zu einer deutschen Gesamtverteidigung vorgestellt. Im Rahmen der CPM Security Conference in München sprachen Oberst a.D. Michael Mittelstädt und Ralph Löhrer von BwConsulting über diesen neuen Ansatz, der innere und äußere Sicherheit in sieben Teilbereichen (Segmenten) vereint betrachtet.

Im Rahmen der CPM Security Conference sprachen Oberst a.D. Michael Mittelstädt und Ralph Löhrer von BwConsulting über Comprehensive Defence, einen neuen Ansatz nationaler Sicherheit und Verteidigung.
Im Rahmen der CPM Security Conference sprachen Oberst a.D. Michael Mittelstädt und Ralph Löhrer von BwConsulting über Comprehensive Defence, einen neuen Ansatz nationaler Sicherheit und Verteidigung.
Foto: CPM / Dominik Dührsen

Informationen zum Operationsplan Deutschland seien laut den Vortragenden sehr begehrt, allerdings nicht für viele zugänglich. Vor dem Hintergrund der aktuellen geopolitischen Lage erscheint eine deutsche Gesamtverteidigungsstrategie dringend notwendig, insbesondere auch zur Sicherstellung einer glaubwürdigen Abschreckung.

Mittelstädt betont auf der Security Conference deutlich, dass zur Findung einer Antwort auf diese Fragestellung ein Blick über den deutschen Tellerrand hinaus notwendig sei:

Wir Deutschen dürfen nicht glauben, dass wir die Klügsten auf dem Gefechtsfeld sind. Wie machen es unsere Alliierten?

Dieser Blick auf die Strategien anderer Länder, insbesondere skandinavischer Vorbilder wie Schweden und Finnland, aber auch Singapur, offenbart Mittelstädt: „In einer hochkomplexen globalisierten Welt kann Verteidigung nicht mehr eindimensional gedacht werden – ich sage: nicht mehr so wie bisher“. Um auf die international angespannte Lage mit diversen Polykrisen und die hybriden Bedrohungen des 21. Jahrhunderts reagieren zu können, sei ein neuer gedanklicher Ansatz notwendig.

Hier wagt BwConsulting, welche als Inhouse-Beratung der Bundeswehr Teil des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums der Verteidigung ist, mit dem Framework „Comprehensive Defence“ einen Vorschlag für die Beschreitung eines neuen Denkansatzes in Deutschland.

Nach der Analyse themenbezogener wissenschaftlicher und nichtwissenschaftlicher Quellen und Strategien anderer Staaten entwickelten sie mit „Comprehensive Defence“ einen neuen ganzheitlichen Ansatz zur umfassenden Sicherheit und Verteidigung. Diese solle aber keine theoretische Überlegung bleiben, sondern praxisorientiert direkte Handlungsmöglichkeiten liefern.

Als Ergebnis wurde auf der Security Conference ein Modell mit sieben Teilbereichen präsentiert, die jeweils auf spezifische Herausforderungen und daraus resultierende Handlungsimplikationen hinweisen. Alle sieben Teilbereiche (Segmente) seien notwendig, um metaphorisch gesprochen einen funktionierenden Schirm zur Gesamtverteidigung im 21. Jahrhundert bilden und „aufspannen“ zu können.

Die sieben Segmente des „Comprehensive Defence“-Frameworks

Im Folgenden erfolgt ein Überblick über die sieben Bestandteile des Frameworks  „Comprehensive Defence“. Löhrer kommentiert vorab, dass es sich bei den ersten drei Segmenten um klassische Themen handele, die im Kontext von Gesamtverteidigung häufig vorrangig besprochen werden würden. Die restlichen Bestandteile des Frameworks würden daher neue gedankliche Herangehensweisen an das Thema Verteidigung ermöglichen.

1. Military Defence

Military Defence gewährleistet die nationale und alliierte Verteidigungsfähigkeit durch militärische Fähigkeiten, Mobilmachung und militärische Kooperation. Die Kerninhalte dieses Segments liegen in der Sicherstellung von Aufwuchsfähigkeit, Mobilmachung und Einsatzbereitschaft sowie der Integration in Bündnisse und strategische Rüstungsplanung. Durch die Optimierung von Ausbildungs- und Übungsstrukturen sowie Resilienzbildung soll die Anpassungsfähigkeit an hybride Bedrohungen erhöht werden.

Allerdings seien hier allgemein und speziell für den deutschen Fall einige Herausforderungen zu beachten: So würden bislang schnelle Mobilmachungsmechanismen und ausreichende Vorräte an Munition und Ersatzteilen fehlen. Bei den Herausforderungen seien auch die Abhängigkeiten von Bündnispartnern, das Thema der personellen Unterbesetzung und die eingeschränkte Aufwuchsfähigkeit der Streitkräfte zu erwähnen.

Dazu müssten neben hauptamtlichen Streitkräften vor allem auch Reservekräfte rekrutiert und einsatzbereit gemacht werden. Außerdem müssten Strukturen und Prozesse aufgebaut werden, die eine schnelle Aufwuchsfähigkeit der Bundeswehr ermöglichen. Zuletzt müssten Beschaffungsprozesse im Kontext der Bundeswehr dringend beschleunigt werden.

2. Civil Defence

Unter Civil Defence wird der Schutz der Bevölkerung und kritischer Infrastrukturen subsumiert.  Dies geschehe durch entsprechende Krisenmaßnahmen, Notfallvorsorge, Zivilschutz und Katastrophenschutz. Als Kerninhalte sind daher eine Sicherstellung der Grundversorgung mit Wasser, Nahrung und Energie neben dem Aufbau einer widerstandsfähigen Gesundheitsversorgung zu erwähnen.

Als Herausforderung sei hier insbesondere das geringe Bewusstsein der Bevölkerung für Zivilschutz und damit einhergehend ein Mangel an privater Bevorratung zu nennen. Allerdings seien darüber hinaus auch die Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern unklar, sodass vermutlich nur verzögert auf großflächige Notfälle reagiert werden könne.

Um diesen Schwierigkeiten praktisch entgegenzutreten, schlagen die Vortragenden die Einführung von Krisenvorsorgekursen und Aufklärungsformaten vor, in Anlehnung an die offene Krisenkommunikation Schwedens gegenüber deren Bevölkerung. Um die Bevölkerung im Ernstfall entsprechend der genannten Aspekte schützen zu können, sei es außerdem notwendig, Schutzräume und Frühwarnsysteme weiter auszubauen. Des Weiteren könne eine stärkere Bund-Länder-Kommunikation und eine Verpflichtung von Behörden und Bürgern zu Notfallübungen die Civil Defence und so die Resilienz der Gesellschaft steigern.

3. Cyber Defence / Digital Defence

Cyber bzw. Digital Defence bezeichnet den Schutz kritischer IT-Infrastrukturen und Daten vor Cyberangriffen. Dies müsse durch Prävention, Resilienz und weitere strategische Abwehrmaßnahmen geschehen. Für diesen Zweck müssten mögliche Cyberangriffe schnell und zuverlässig detektiert und abgewehrt werden. Daneben sollten allgemein die öffentlichen und privaten IT-Sicherheitsstrukturen gestärkt werden.

Dies sei von großer Bedeutung, da die Zahl an Cyberbedrohungen durch staatliche und andere kriminelle Akteure deutlich steige. Um dem entgegenzutreten, müsse es deutlich mehr Fachkräfte im Bereich der Cybersicherheit geben und die Bevölkerung für das Thema sensibilisiert werden.

Die sieben Segmente des Comprehensive Defence Frameworks
Die sieben Segmente des Comprehensive Defence Frameworks
Grafik: BwConsulting

Dies alles könnte im Rahmen einer gesamtstaatlichen Cyber-Strategie geschehen. Zudem sei es wichtig, klare Rollen und Verantwortlichkeiten zu verteilen, um digitale Resilienz in Wirtschaft und Gesellschaft zu fördern. Eine Stärkung der internationalen Zusammenarbeit in Hinblick auf das Thema Cybersicherheit könne ebenfalls hilfreich sein, um den Aspekt der Cyber bzw. Digital Defence zu stärken.

4. Social Defence

Die Idee hinter Social Defence ist die Förderung des gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalts, um aktuell beobachtbaren Tendenzen gesellschaftlicher Spaltung und Extremismus entgegenzuwirken, damit im Gegenzug die Bereitschaft zur Verteidigung der Gesellschaft und des eigenen Landes steigt. Löhrer bringt hierzu an:

Wir tendieren gerade dazu uns mehr zu spalten als uns zu vereinen und für einander einzustehen,

und das sei eine der Hauptschwierigkeiten der Social Defence. Die Vortragenden halten soziale Kohäsion, die Überwindung der gesamtgesellschaftlichen Polarisierung und eine effektive Integration für einen entscheidenden Sicherheitsfaktor in der Zusammenarbeit zwischen der Gesellschaft und den staatlichen Sicherheitsbehörden. Ebenso würden das Ehrenamt und die Bürgerbeteiligung eine große Rolle einnehmen.

Zur Umsetzung der Social Defence seien einige Herausforderungen zu bewältigen: die hohe (für Demokratien aber auch wichtige) Heterogenität in der Bevölkerung, Spaltungstendenzen und diverse Schwierigkeiten durch soziale Ungleichheit und notwendige Migration bei gleichzeitig guter Integration werden hier als Punkte genannt.

Zu deren Bewältigung seien folglich die Entwicklung gemeinschaftlicher Krisenbewältigungsstrategien und eine deutliche Erhöhung des Austauschs und des Verständnisses zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Institutionen notwendig. Krisen müssten im Sinne einer resilienten Gesellschaft gemeinsam mit der Bevölkerung bewältigt werden und nicht über die Köpfe der Bürger hinweg.

5. Psychological Defence

Psychological Defence bezeichnet den Zustand einer resilienten Bevölkerung. Das Augenmerk dieses Aspekts liegt insbesondere in der Resilienz des Individuums gegen Desinformation und Polarisierung, bei denen es sich um Tendenzen handelt, die zu einem Vertrauensverlust in demokratische Institutionen führen könnten. Psychological Defence dient als Konzept also neben dem Schutz vor hybriden Bedrohungen und Manipulation auch der Förderung des individuellen Verteidigungswillens der Bevölkerung.

Die Entwickler des Comprehensive-Defence-Frameworks sehen in Hinblick auf die Umsetzung der Psychological Defence vor allem die mangelhafte Resilienz der Gesellschaft und das sinkende Vertrauen in Medien und Politik als Herausforderungen an. Auch der Einfluss ausländischer Propaganda müsse in den Blick genommen und verringert werden.

Um die negativen Folgen dieser Herausforderungen zu mildern, sei es dringend notwendig die politische Bildung und Medienkompetenz der breiten Bevölkerung zu stärken. Dabei reiche es laut Löhrer nicht, in die Schulen zu gehen – politische Bildung zu Verteidigung und Bevölkerungsschutz sei über alle Altersklassen hinweg relevant. Außerdem müssten die strategische Kommunikation des Staates verbessert und gesetzliche Maßnahmen gegen Fake News auf den Weg gebracht werden. Durch diese Aufklärungsarbeit könne ein notwendiges gesamtgesellschaftliches Sicherheitsbewusstsein und dadurch die gesellschaftliche Resilienz gegenüber Krisen und Disruptionen gestärkt werden.

6. Economic Defence

Unter Economic Defence wird die Gewährleistung wirtschaftlicher Resilienz und sicherer Lieferketten neben dem Schutz kritischer Industrien verstanden. Auf diese Weise würde der Staat bei Bedarf auf eine funktionierende Verteidigungs- und Kriegswirtschaft vorbereitet werden, sodass auch in Krisenzeiten wirtschaftliche Stabilität gewährleistet werden könne. Daneben sollte auch die Förderung verteidigungsrelevanter Technologien in den Fokus genommen werden, um strategische Abhängigkeiten von anderen Ländern langfristig zu reduzieren.

Aktuell sei Deutschland in eine hohe Abhängigkeit von globalen Märkten verwickelt und gleichzeitig der Vorrat lebenswichtiger Güter unzureichend. Dass die Risiken durch geopolitische Abhängigkeiten groß sind, konnte in der jüngeren Vergangenheit beispielsweise in Bezug auf Energie festgestellt werden. Mittelstädt und Löhrer nennen in diesem Zuge die bislang fehlende strategische Rüstungsplanung als eine weitere Herausforderung, der sich Deutschland stellen müsse.

Als daraus resultierende Handlungsimplikationen nennen sie die Entwicklung eines strategischen Wirtschaftsplanes und den Ausbau von Dual-Use-Produktionskapazitäten, um lebenswichtige Ressourcen und Technologien und deren Produktionskapazitäten sichern zu können.

7. Ecological Defence

Unter Ecological Defence werden die Themen Nachhaltigkeit, Umweltsicherheit und Widerstandsfähigkeit im Kontext von Verteidigung zusammengefasst. Es sei neuartig, aber notwendig Klimaschutz und Umweltschutz vor dem Hintergrund der Verteidigungsfrage zu betrachten, da der Klimawandel langfristig aufgrund seiner Auswirkungen ein Sicherheitsrisiko darstellt. Außerdem seien Umweltschäden durch militärische Aktivitäten denkbar, die damit ebenfalls in den Bereich der Ökologie fallen.

Heute schon ließen sich Konkurrenzen zwischen Nachhaltigkeits- und Verteidigungszielen oder gar fehlende langfristige Planungen für nachhaltige Verteidigung feststellen. Dies stellt die Hauptschwierigkeit für die Umsetzung von Ecological Defence dar, welche nicht unmittelbar, sondern nur durch langfristige Planung und Handlung erfolgreich umgesetzt werden könne.

Dazu sollten nachhaltige Technologien gegenüber konventioneller Verteidigungstechnik gefördert und die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern reduziert werden. In diesem Sinne plädieren Mittelstädt und Löhrer dafür, Maßnahmen des Klima- bzw. Umweltschutzes (Nachhaltigkeit) als als Bestandteil zeitgemäßer Verteidigungsplanung zu sehen.

Fazit

Mit den sieben Segmenten des „Comprehensive Defence“-Frameworks wurde von BwConsulting ein neu gedachter Rahmen für eine umfassende nationale Verteidigungsstrategie vorgestellt, der den Anspruch verfolgt, alle Aspekte von Verteidigung umfassend, strukturiert und integrativ zu erfassen. Verteidigung und die Herstellung von Sicherheit seien nicht allein Auftrag der Bundeswehr, sondern hingen von jeder einzelnen Person, Institution und Organisation in Deutschland ab. Es sei daher laut Mittelstädt dringend an der Zeit, „verstaubtes Zuständigkeitsdenken“ hinter sich zu lassen und gemeinsam an der nationalen Sicherheit, Verteidigung und Resilienz zu arbeiten.

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