Der Durchbruch der „Künstlichen Intelligenz“ (KI) hat in den letzten Jahren viele Branchen und Anwendungen radikal verändert. KI ist ein Teilgebiet des maschinellen Lernens und ermöglicht es, klassische Probleme auf ganz neue Art und Weise zu lösen. Eine wahre Stärke KI basierter Anwendungen ist die Fähigkeit, in Datensätzen Muster zu erkennen. So ist es kein Wunder, dass gerade Objekterkennung in Bild-, Video- und Audiodaten massiv von den Fähigkeiten der KI profitiert. Während KI basierte Anwendungen regelrecht zu einem Hype geworden sind, hat KI auch die Fähigkeit, realistisch aussehende Daten zu generieren. Solche oftmals böswilligen Manipulationen verleihen dem Forschungsgebiet der künstlichen Intelligenz auch ein negatives Image. Dabei ist KI keine Black Box – wie viele glauben –, sondern eine dem biologischen Hirn nachempfundene Mathematik.
Auch TETRA-Netzwerke im Bereich der kritischen Infrastruktur (KRITIS) können von den analytischen Fähigkeiten der KI profitieren. Das Basiselement einer KI ist das Neuron. Dieses besitzt mehrere Eingangswerte, die je nach anliegendem Wert zu einem neuen Ausgabewert führen. Verkoppelt man mehrere tausend solcher Neuronen miteinander, entsteht ein neuronales Netzwerk ähnlich dem menschlichen Gehirn. Auch hier feuern einzelne Neuronen ein Signal an benachbarte Neuronen ab, die bei Überschreiten eines Schwellwertes ein neues Signal erzeugen. Bei einem digitalen neuronalen Netzwerk wird eine Eingabe zunächst in ein Anregungssignal übersetzt (die so genannten Features). Die Neuronen führen eine Reihe an Multiplikations- und Additionsoperationen aus, und nach Durchlaufen des Netzwerkes ergibt sich ein Ausgangssignal. Auf diese Art lassen sich neuronale Netzwerke erschaffen, die bei Eingabe eines Fotos (das Eingangssignal) die erkannten Objekte in dem Foto genau benennen können (das Ausgangssignal).
Aber wie werden solche Netze erschaffen? Bei der klassischen Art Probleme zu lösen, versucht ein Experte passende Regeln aufzustellen, die eine bestimmte Eingabe in eine Ausgabe übersetzen. Ein Beispiel: Am Himmel ziehen schwarze Wolken auf (Eingabe) – Es wird sehr wahrscheinlich bald regnen (Ausgabe). Bei klassischen Problemen gibt es Experten, die solche Regeln aufstellen können. Beim maschinellen Lernen (engl. Machine Learning, ML) hingegen versucht ein Computer solche Regeln selbst zu finden. Diesen Prozess nennen wir „Training“. Hierbei versucht der Trainingsalgorithmus die Neuronen selbstständig so miteinander zu verbinden, dass eine bekannte Eingabe zu einer gewünschten Ausgabe führt. Um also eine KI zu trainieren, die auf Fotos Fahrzeuge erkennt, muss dem Trainingsalgorithmus ein umfangreicher Satz von Fotos bereitgestellt werden – mit und ohne Fahrzeug. Auf diese Weise lernt das Netz selbstständig, wie Fahrzeuge aussehen, ohne dass ein Experte die zugrunde liegenden Regeln kennen und verstehen muss. Das ist die eigentliche Stärke des sogenannten maschinellen Lernens und die wahre Innovation.
KI bietet neue Lösungen
Die Stärke von KI ist es, Regeln dort zu erkennen, wo ein Mensch keine Zusammenhänge erkennen kann, z.B. innerhalb besonders komplexer Datensätze. In der Forschung haben sich in den letzten Jahren einige Probleme herauskristallisiert, die durch KI besonders gut gelöst werden können. Der KI „Werkzeugkasten“, zu dem ursprünglich nur die Neuronen zählten, wurde hierfür um neue Elemente erweitert, mit denen sich immer speziellere neuronale Netze zur Lösung spezifischer Probleme entwerfen lassen. So ist beispielsweise auch das menschliche Gehirn auf die externe Vorverarbeitung von Informationen im Auge angewiesen, um Bilder zu erkennen. Ähnlich hat auch die KI-Forschung neue Komponenten hervorgebracht, die die Fähigkeiten neuronaler Netze signifikant erweitern.
Neue KI Bausteine
Zwei dieser etwas neueren KI-Bausteine, die auch für die Verarbeitung von TETRA-Netzdaten ein wichtiges Puzzlestein darstellen, sind die LSTMs und die Autoencoder. Ein klassisches neuronales Netz ist nicht in der Lage, für die Bewertung eines aktuellen Datensatzes die vergangenen Datensätze mit einzubeziehen: Es besitzt kein Gedächtnis. Dahingegen gibt es eine Reihe von Problemen, in denen die vergangenen Daten der letzten Stunden, Monate oder Jahre durchaus relevant bei der Bewertung der aktuellen Situation sind. So ist es zwar möglich, das Wetter der nächsten Stunde mit einem Blick auf das aktuelle Wetter zu prognostizieren. Die Vorhersage wird aber erst dann sehr genau, wenn vergangene Messwerte (Temperatur/Luftfeuchtigkeit usw.) der letzten Tage mit beachtet werden. Long-Short-Term-Memory (LSTM), zu Deutsch etwa „langes Kurzzeitgedächtnis“, verleiht dem neuronalen Netzwerk genau diese Fähigkeit. Dabei wird im Trainingsprozess auch das Design dieses Gedächtnisses mittrainiert, also über welche Zeit ein vergangener Eingangswert welchen Einfluss auf die aktuelle Bewertung hat.
Autoencoder, das zweite wichtige Element, verfolgen einen komplett anderen Ansatz. Im Trainingsprozess lernen Autoencoder die wesentlichen Merkmale einer Datenreihe kennen. Als Beispiel sei hier ein Elektrokardiogramm (EKG) vorgestellt, dass die elektrischen Aktivitäten des Herzens über die Zeit beschreibt und einen ganz typischen Verlauf hat. Abweichungen vom typischen Verlauf weisen auf Herzfehler hin. Autoencoder sind hervorragend geeignet, Abweichungen vom typischen Verlauf zu erkennen, ohne während des Trainings zu wissen, wie diese Abweichungen später eigentlich aussehen könnten. Sie sind deshalb wie geschaffen, Daten nach unbekannten Abweichungen, d.h. Fehlern, zu durchsuchen.
KI in TETRA-Netzwerken
Aktuelle Datenbank basierte Speicherverfahren machen es möglich, zeitlich hochaufgelöste TETRA-Netzdaten in Echtzeit zu erfassen, die kaum mehr händisch analysiert werden können. Dazu zählt der Zeitpunkt des Gesprächsaufbaus und -abbaus, die Rufgruppengröße, die Empfangsleistung im Up- und Downlink, die Position von Teilnehmern im Netzwerk, die Position von Zellübergängen (Handovern), aber auch Gesprächsabbrüche und lokale Überlastsituationen. Hinzu kommen eine Reihe von netzseitigen Parametern, die gemessen und protokolliert werden können, wie die Temperatur im Serverraum, die CPU und Speicherauslastung der Rechenknoten im Backend oder die tatsächlich über die Antenne abgestrahlte Leistung. Die vorgestellten KI-Konzepte lassen sich nun dafür nutzen, solche Daten zu analysieren und auf Muster hin zu untersuchen.
TETRA-Systeme werden in der Regel für eine lange Zeit geplant und sind oft Jahrzehnte lang im Einsatz. Dabei nutzen sich auf Dauer Vorverstärker und Antennen ab. Dies führt zu einer veränderten Abstrahlcharakteristik und kann die Reichweite von Signalen verringern. Gegenwärtig können solche Probleme nur durch kostenintensive und regelmäßige Prüfungen erkannt werden – oder es wird erst bei einem offensichtlichen Ausfall reagiert. Neuronale Netzwerke mit Autoencoder können hierbei Abhilfe schaffen. Damit lassen sich schleichende Veränderungen in den erfassten Werten erkennen, bevor diese einem Techniker auffallen oder zu Performanceeinbußen führen. Vorhersagen über zukünftige Hardwareausfälle im Backend sind damit möglich. Dieser Ansatz wird schon heute in anderen Bereichen – wie z.B. bei Personenaufzügen – eingesetzt. Ebenso kann KI dabei helfen, selbstständig Probleme in der TETRA-Netzversorgung zu erkennen. Dafür wird das Feedback von Endgeräten über die Zeit ausgewertet (Verbindungsabbrüche, Empfangsleistung) und falls möglich geolokalisiert. Die von Endgeräten an einem Ort gemessene Empfangsleistung hängt stark von der Umgebung ab und unterliegt dabei natürlichen Schwankungen. Problematisch sind korrelierte Schwankungen, d.h. regional zusammenhängende Gebiete, die sich in der Versorgungsqualität über Jahre schleichend verändern. Die Gründe hierfür sind vielfältig und reichen von Hardwareänderungen über Hardwareproblemen bis zu baulichen Veränderungen in einer städtischen Umgebung. KI basierte Analysetechniken können solche Muster erkennen und einen Netzbetreiber darüber informieren und warnen.
Das Potential und Nutzen von KI für TETRA ist enorm
Alltäglicher für einen TETRA-Nutzer sind hingegen Verbindungsabbrüche, bspw. durch Überlastsituationen oder Übergabefehler beim Zellwechsel (Handover). Dabei ist die Vorhersage von Überlastsituationen und anstehenden Handovern durch LSTSMs in der Leitstelle ähnlich leicht möglich wie die Vorhersage des Wetters – vorausgesetzt eine KI wurde mit historischen Lastdaten trainiert. So können Vorab in der Leitstelle Entscheidungen getroffen werden, um auf die Überlast zu reagieren, bevor sie eintritt. Eine mögliche Gegenmaßnahme wäre das kurzzeitige Unterbinden von Einzelgesprächen und die Beschränkung auf Gruppengespräche oder die schnellere Freigabe von Funkressourcen nach Gesprächsende eines Teilnehmers. Die größte Herausforderung hierbei sind die Netzdaten, die für das Training KI basierter Anwendung bereitgestellt werden müssen. Und hierbei unterscheiden sich TETRA Anwendungen deutlich von anderen Anwendungsbereichen. Jedes TETRA-Netzwerk ist einzigartig und versorgt unterschiedlich große Gebiete mit einer unterschiedlichen Zahl von Kanälen und Endgeräten in einer spezifischen Umgebung (Gebäude und Landschaften) und für unterschiedliche Anwendungen (Industrie, ÖPNV, Rettungsdienst, usw.). Am Ende muss eine KI basierte Lösung deshalb immer für den individuellen Einsatz angepasst werden. Allen Anwendungen gemein ist, dass eine KI in TETRA-Netzwerken niemals eigenständig Entscheidungen treffen darf. KI basierte Ansätze sind am Ende ein mächtiges Analysewerkzeug, das Netzplanern, Netzbetreibern und Mitarbeitern in der Leitstelle nur Hinweise auf Probleme und ggf. Vorschläge zum Umgang liefern darf. Die anschließende Reaktion auf das erkannte Problem unterliegt am Ende einem Menschen. Und so ist das Potential und der Nutzen für TETRA-Netze enorm. Es wird sich zeigen, wo diese Reise hingeht. Unbestritten ist, dass KI basierte Ansätze kommen und signifikant zur Leistungsfähigkeit des TETRA-Funkstandards beitragen werden.
Autor: Dr. Nils Grupe
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