Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss im nordrhein-westfälischen Landtag befasst sich seit Ende letzten Jahres mit der terroristischen Messerattacke von Solingen. Am 23. August 2024 hatte ein offenbar allein agierender Angreifer auf einem Stadtfest in der Solinger Innenstadt drei Menschen mit einem Messer getötet und acht weitere zum Teil schwer verletzt. Tatverdächtig ist ein in Untersuchungshaft einsitzender Syrer. Leider handelt es sich bei dieser Tat nicht um einen traurigen Einzelfall. Seit einigen Jahren ist zu beobachten, dass die Zahl der Gewaltdelikte unter Verwendung von Hieb- und/oder Stichwaffen stetig zunimmt. Nicht nur in Deutschland, sondern in großen Teilen Westeuropas.
Im Berichtsjahr 2024 erfasste die deutsche Polizei 29.014 Straftaten, die als „Messerangriffe“ eingestuft wurden. Für die Deliktsbereiche der gefährlichen und schweren Körperverletzungen stieg die Zahl der Messerangriffe um 10,8 % im Vergleich zum Vorjahr. Anlass genug, sich einmal intensiver mit dem Phänomen Messertäter zu beschäftigen.
Vielleicht mussten Sie schon selbst im Rettungsdienst Einsätze im Rahmen von Messerattacken wahrnehmen. Ob ein Fall von häuslicher Gewalt oder eine Auseinandersetzung im Drogenmilieu – in der Regel dürften Sie einen Einsatzort vorgefunden haben, der bereits durch Polizeibeamte zumindest rudimentär gesichert wurde. Rettungskräfte können sich im Allgemeinen darauf verlassen, relativ gefahrlos ihrer Arbeit der Verletztenversorgung nachgehen zu können. Anders wäre ein erfolgreicher Einsatz auch nicht zu gewährleisten.
Völlig anders sieht es allerdings aus, wenn der oder die Täter sich noch unkontrolliert im Einsatzraum bewegen und auf weitere potentielle Opfer einwirken können. Regelmäßig ist das im Rahmen von Amokläufen und terroristischen Anschlägen der Fall. Dabei ist es für die eingesetzten Rettungskräfte grundsätzlich von untergeordneter Bedeutung, ob es sich bei den Tätern um Amokläufer oder Terroristen handelt.
Was für die strafrechtliche und politische Bewertung im Nachgang der Tat essentiell sein mag, fällt für den einzelnen Rettungsdienstler im laufenden Einsatz kaum ins Gewicht. Entscheidend ist für die Einsatzkräfte, dass von dem/den Täter(n) weiterhin eine konkrete Gefahr ausgeht, sie also selbst potentielle Opfer werden können.
In einem solchen ungesicherten Einsatzraum verbietet sich das Vorgehen von Rettungskräften. Sie haben hier schlicht nichts zu suchen. Nicht nur, dass eine erfolgversprechende Verwundetenversorgung kaum zu gewährleisten wäre. Viel schwerer wiegt die Gefahr, selbst schwer verletzt oder gar getötet zu werden. Rettungsmittel in einer laufenden Lage dürfen grundsätzlich nicht weiter als bis zum Übergang von der grünen in die gelbe Zone herangeführt werden.
Das 3-Zonen-Modell sollte mittlerweile allen Rettungsdienstkräften vertraut sein. Allerdings ist in der Praxis leider häufig zu beobachten, dass offensichtlich das tiefere Verständnis für die drei Zonen und die ihnen innewohnenden Problemstellungen und Gefahren mitunter fehlt. Daher hier zur Erinnerung eine kurze Darstellung der Zonenarbeit, zum Beispiel im Rahmen eines Amoklaufes oder eines Terroranschlages.
Die drei (über-)lebenswichtigen Zonen
Bei der roten oder heißen Zone handelt es sich um den Bereich, in dem das schädigende Ereignis stattgefunden hat und eventuell noch fortdauert. Die Polizei spricht hier auch vom täterkontrollierten Bereich. Dabei ist es grundsätzlich unerheblich, um wie viele Täter es sich handelt und wie diese bewaffnet sind. Abhängig von der Örtlichkeit und den Begleitumständen können Polizeikräfte relativ früh am Ereignisort eintreffen. Im Rahmen von öffentlichen Veranstaltungen, wie Straßenfesten, Weihnachtsmärkten, Festivals o.ä. ist es sogar wahrscheinlich, dass sich polizeiliche Präsenzkräfte in unmittelbarer Nähe des Anschlagsortes befinden und während der noch laufenden Tathandlung intervenieren können.
Bei diesen Polizeibeamten wird es sich in den weitaus meisten Fällen um Einsatzkräfte des Streifendienstes oder einer Einsatzhundertschaft handeln. Für die ersten Interventionsmaßnahmen im Rahmen eines Amoklaufes oder eines terroristischen Anschlags stehen so gut wie nie polizeiliche Spezialeinheiten zur Verfügung.
Diese werden zwar umgehend alarmiert. Aber in der Regel treffen sie erst nach Beendigung der initialen Tathandlung im Rahmen der sog. „Besonderen Aufbauorganisation“ (BAO) ein. Natürlich besteht immer die Möglichkeit, dass die Einsatzlage im weiteren Verlauf statisch wird, zum Beispiel wenn sich Täter an einer Örtlichkeit – mit oder ohne Geiseln – verbarrikadieren und es dadurch zum Einsatz von Spezialeinsatzkommandos kommt. Aber die erste Phase einer solchen Tat wird handwerklich fast immer von Kräften des polizeilichen Regeldienstes (Allgemeine Aufbauorganisation – AAO) abgearbeitet.
Diese Polizeibeamten werden sich mit Eintreffen am Einsatzort häufig mit zum Teil schwer verletztem Tatopfer konfrontiert sehen. Allerdings werden sie sich nicht um diese Verletzten kümmern, so schwer das manchen Einsatzkräften sicher auch fallen mag. Solange Täter noch auf weitere potentielle Opfer einwirken können, hat die Polizei lediglich eine Aufgabe: das Tun der Angreifer schnellstmöglich zu unterbinden.
Das bedeutet, sie werden sich umgehend in die Richtungen bewegen, in denen sie Täter vermuten. Indikatoren für den Aufenthaltsort bzw. die Bewegungsrichtung von Tätern können flüchtende Bürger und hysterisches Geschrei sein. Schuss- und/oder Explosionsgeräusche weisen eventuell ebenfalls den Weg zu weiteren Tathandlungen. Obwohl es mitunter schwer für die Einsatzkräfte ist, den örtlichen Ursprung von Schüssen und Detonationen im urbanen Umfeld zu lokalisieren.
Die einzige denkbare medizinische Erstmaßnahme durch Polizeibeamte in der roten Zone könnte im Einzelfall das Umlagern einer bewusstlosen Person in die stabile Seitenlage sein. Quasi im Vorbeieilen auf dem Weg Richtung Täter. Sonst beschränkt sich Verwundetenversorgung in der heißen Zone auf Selbsthilfe verletzter Einsatzkräfte, wie das Stoppen einer potentiell lebensbedrohlichen Blutung an Armen oder Beinen durch die Selbstanlage eines Tourniquets.
In der roten Zone können sich Verletzte grundsätzlich nur selber versorgen. Abhängig von der Schwere der Verwundung, den individuellen Fähigkeiten in der Ersten Hilfe und dem zur Verfügung stehenden Equipment dürften die Möglichkeiten im Regelfall sehr beschränkt ausfallen. Die taktische Medizin bezeichnet die in der roten Zone getroffenen Erstmaßnahmen nicht ohne Grund als „Care Under Fire“ (CUF).
Oberstes Gebot für Verwundete ist das Aufsuchen einer geeigneten Deckung. Ein reiner Sichtschutz gegenüber dem Täter ist natürlich besser als ein Ausharren in freiem Gelände. Vorzuziehen ist allerdings jede Form von ballistischer Deckung. Darunter verstehen wir eine bauliche Einrichtung, die aufgrund ihrer Beschaffenheit (Material, Dichte) das Durchdringen von Projektilen, Splittern etc. verhindert.
Das können u.a. Gebäude, solide Mauern, Hausecken, Metallcontainer und bedingt auch Fahrzeuge sein. Im Bereich der Ballistik gilt die Faustformel „Viel hilft viel“. Je härter ein Material und je größer seine Dichte, desto besser bin ich vor umherfliegenden Geschossen geschützt. Am allerbesten hilft natürlich Abstand. Je schneller ich mich möglichst weit vom Ort des Geschehens absetzen kann, desto sicherer wird es mit jedem gewonnen Meter Distanz.
Natürlich können sich auch Rettungskräfte und Notärzte in der roten Zone wiederfinden. Vielleicht beim Dienst an einer Unfallhilfsstelle oder als mobiler Sanitätstrupp im Rahmen einer Großveranstaltung. Gerade in der Chaosphase einer beginnenden Großschadenslage besteht auch durchaus die Möglichkeit, dass die Rettungsleitstelle Einsatzkräfte zu einem Verletzten entsendet, ohne zu wissen, dass dieser sich im Epizentrum eines Amoklaufes befindet.
Sobald Rettungskräfte realisieren, dass sie sich in einer aktiven roten Zone befinden, sollten sie sofort sämtliche notfallmedizinischen Maßnahmen einstellen und sich aus dem gefährdeten Bereich entfernen. Wie oben bereits erwähnt, schützt nur größtmöglicher Abstand, nach Möglichkeit in Verbindung mit ballistischen Komponenten.
Das Innere eines Rettungsfahrzeugs oder eines KTW stellt keinen ballistischen Schutz dar! Nun könnte man argumentieren, wenn es sich bei dem Angreifer um einen Messertäter handelt, sollte das verriegelte Innere eines Fahrzeugs ausreichend Schutz bieten. Allerdings bedeutet es zum einen nicht, dass ein Messerangreifer nicht noch über andere Waffen, z.B. Schusswaffen und/oder Explosivstoffe verfügen kann. Zum anderen hat die Polizei kaum eine andere Möglichkeit einen entschlossen angreifenden Messertäter zu stoppen als durch den Einsatz der Schusswaffe.
Aufgrund der überschaubaren kinetischen Leistungsfähigkeit der überwiegend zur Verfügung stehenden Waffensysteme, werden in aller Regel mehrere Körpertreffer erforderlich sein, um einen Messerangreifer auszuschalten. Aufgrund der hohen Dynamik einer solchen Einsatzsituation kann es natürlich zu Fehlschüssen kommen, die unkontrolliert in der Umgebung ihre Energie abbauen. Diese können nahezu ungebremst die Bordwand eines Rettungsfahrzeugs durchschlagen und stellen somit eine nicht zu unterschätzende Gefahrenquelle dar.
In einer gelben oder warmen Zone befinden wir uns in/hinter einer Deckung, die dem Täter die Möglichkeit nimmt, direkt auf uns einzuwirken. Sie stellt zwar eine individuelle temporäre Verbesserung der Gefahrensituation dar, etabliert aber keinen nachhaltig sicheren Bereich. Der Täter kann die Deckung jederzeit umgehen oder sie überwinden. Dazu muss er sich nicht zwingend exponieren. Es reicht aus, wenn er z.B. eine Handgranate über die Mauer wirft. Schon befinden wir uns wieder in der roten, heißen Zone.
Die intervenierenden Polizeikräfte werden versuchen, sich unter Ausnutzung von Deckungsmöglichkeiten so weit wie nötig an den Täter anzunähern, um ihn sicher ausschalten zu können. Nach wie vor liegt ihre Priorität auf der Eliminierung der vom Täter ausgehenden Gefahr und nicht auf der notfallmedizinischen Erstversorgung verletzter Opfer. Sie werden im Bedarfsfall höchstens versuchen, lebensbedrohliche Blutungen bei sich selbst und/oder Kolleg*innen im gelben Bereich einer Deckung zu stoppen.
Weitere nachrückende Polizeikräfte, die nicht mit der Täterbekämpfung beauftragt sind, werden anfangen Verletzte in gelbe Zonen, sprich hinter ballistische Deckungen zu evakuieren und dort, wenn möglich, notfallmedizinisch erstzuversorgen. Bei günstigen Rahmenbedingungen sind sie eventuell auch in der Lage verfügbare ballistische Deckungsmöglichkeiten (Fahrzeuge, Schilde, Decken) in die rote Zone einzubringen, um Verletzte abzuschirmen und so eine gelbe Zone für die Erstbehandlung zu schaffen. Die taktisch-medizinischen Maßnahmen in der gelben Zone werden als „Tactical Field Care“ (TFC) bezeichnet.
Mit Ausnahme von polizeilichen Interventionskräften, sollten sämtliche in der roten Zone befindlichen Personen versuchen, unter Ausnutzung verfügbarer Deckungen (gelber Zonen) schnellstmöglich aus dem Gefahrenbereich zu fliehen. Das schließt natürlich medizinische Rettungskräfte, die sich bereits bei Beginn der Tathandlung in der roten Zone befunden haben, mit ein. Stoppen potentiell lebensbedrohlicher Blutungen in einer geeigneten Deckung und sofortige anschließende Evakuierung von Verletzten in die grüne Zone stellen die beste Vorgehensweise für alle nicht an der Täterbekämpfung beteiligten Einsatzkräfte dar.
Wichtig aus taktischen Erwägungen ist der Umstand, dass die gelbe Zone jederzeit wieder aufgrund des Täterverhaltens zu einer roten Zone werden kann. Die bereits angelaufene medizinische Erstversorgung ist dann sofort abzubrechen. Im Extremfall kann es für Rettungskräfte sogar erforderlich werden, sich unter Zurücklassung von hilfsbedürftigen Patienten selbst durch Flucht in den sicheren Bereich der grünen Zone zu retten. Ihren Patienten ist nicht dadurch gedient, dass Sie selbst zum nächsten Opfer werden!
Die grüne oder kalte Zone haben wir erreicht, sobald keinerlei weitere Gefahr mehr für Helfer und Verletzte besteht, zum Beispiel außerhalb der polizeilichen Absperrung. Oder im eigenen Fahrzeug, auf dem Weg in die Notaufnahme. In der grünen Zone kann nun die Verwundetenversorgung in ihrer bestmöglichen Form beginnen. Der Fachterminus für die in ihr getroffenen Maßnahmen lautet „Tactical Evacuation Care“ (Tac Evac). Eine Patientenablage kann am Übergang von der gelben in die grüne Zone etabliert werden. Diese ist durch bewaffnetes Personal zu sichern.
Gerade in der Anfangsphase der notfallmedizinischen Versorgung von Verwundeten in der grünen Zone wird es zu einem engen Zusammenwirken von polizeilichen Einsatzkräften und Rettungsdienstpersonal kommen. Es besteht die Möglichkeit, dass Rettungskräfte Patienten übernehmen, an denen bereits notfallmedizinische Erstmaßnahmen vorgenommen wurden.
Diese können vom Stoppen potentiell lebensbedrohlicher Blutungen der Extremitäten mittels maschinell hergestellter oder improvisierter Tourniquets, über die Anlage von Druckverbänden, bis zur Versorgung von Punktionsverletzungen des Thorax mit Ventilpflastern und Maßnahmen zum Wärmeerhalt ein relativ breites Spektrum abdecken. Umfang und Effizienz dieser Erstmaßnahmen spiegeln Fortbildungsstand und Ausrüstung der an der Evakuierung von Verletzten aus der roten in die grüne Zone beteiligten Polizeibeamten wider.
Wer die Medienlandschaft aufmerksam verfolgt, kann sich des Anscheins nicht erwehren, dass Amoktaten und terroristische Anschläge in unserem Land in den letzten Jahren zugenommen haben. Mitte März 2025 äußerte sich der renommierte Terrorismusexperte Peter Neumann vom Londoner King’s College im Rahmen des eingangs erwähnten parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Landes NRW.
Er vertrat die Einschätzung, dass sich Europa aktuell vor dem Ausbruch einer neuen Terrorwelle befinde. Seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 habe die Radikalisierung auch bei uns stark zugenommen. Die Zahl der durchgeführten und versuchten islamistischen Terroranschläge in Westeuropa sei seither um 400 % gestiegen.
Es sei zu beobachten, dass die Attentäter immer jünger würden. Zweidrittel der in den letzten 15 Monaten in Europa Festgenommenen seien 19 Jahre und jünger gewesen. Die Radikalisierung finde in dieser Altersgruppe häufig online statt. Bei ihnen sei eine Verrohung feststellbar, die dazu führe, dass Gewaltfantasien ausgelebt würden.
Aber Amok und Terror sind nur die plakative Spitze des Eisbergs. Täglich haben es Polizei und Rettungsdienst bundesweit mit den körperlichen Folgen von Gewalt zu tun. Messer sind in jedem Haushalt in den unterschiedlichsten Ausführungen verfügbar und leicht zugänglich. Daher sind sie häufig Mittel der Wahl, wenn es darum geht, in einer gewalttätigen Auseinandersetzung die Oberhand zu gewinnen. Neben dem Wissen um die angemessenen notfallmedizinischen Erstmaßnahmen, ist es für die Einsatzkräfte (über-)lebenswichtig, sich intensiv mit dieser Form bewaffneter Gewalt auseinanderzusetzen, um im Falle einer unausweichlichen Konfrontation angemessen reagieren zu können.
Autor: Mario Nowak (Tactical Survival Concepts GmbH)
Erstmals erschienen in: Crisis Prevention 2/2025
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